Memed mein Falke
anderen das Weite suchten. Köroglu wunderte sich sehr darüber. So klein und doch mutiger als die Größten ... Nach diesem Erlebnis wurde er der berühmte Köroglu, der nichts auf der Welt fürchtete und dessen Namen jeder kennt. Als seinem Vater jene Ungerechtigkeit widerfahren war, ging er in die Berge, und der Ruhm seiner Taten verbreitete sich schnell im Lande. Dieses Lied hatte einen sehr großen Eindruck auf Memed gemacht. Damals hatte er seinen Schwur erneuert, den Aga zu töten.
»Was verdrießt dich denn so, Bruder Cabbar? Ich will dich ja nicht in die Sache hineinziehen, sei nur unbesorgt.«
»Ach was! Es tut mir leid um dich, das ist alles.«
Memed wurde zornig. »Ständig tut es dir leid um mich! Jetzt reicht es allmählich. Warum stellst du dich denn nur so an?«
Nun verlor auch Cabbar die Beherrschung. »Da fragst du noch?« schrie er. »Warum heißt die Çukurova die Banditenfalle? Weil noch keiner am hellen Tage dort lebend herausgekommen ist! Und du kennst dich dort nicht einmal aus! Ja, wenn du so einen wie Sergeant Recep bei dir hättest! Aber du tappst ja hinunter wie ein Blinder!«
Memed straffte sich. »Kommst du mit oder nicht?« fragte er mit schmalen Lippen.
»Ich gehe nicht mit offenen Augen in diese Falle!«
»Sprich offen heraus. Laß das Gerede und sag es klipp und klar: Gehst du mit oder nicht?«
»Nein.«
»Gut. Und nun zu dir, Ali. Kommst du mit?«
»Ich kenne ja die Çukurova überhaupt nicht, Bruder«, sagte Ali der Arme. »Ich würde dir nur schaden. Ich habe Angst vor der Çukurova. Aber wenn du es unbedingt willst, dann gehe ich dennoch mit dir. Für einen Freund tut man alles.«
Cabbar warf ihm einen bitterbösen Blick zu.
Als sie miteinander zu Nacht aßen, schwieg jeder verstockt vor sich hin. Der einzige, der seine gute Laune behalten hatte, war Ali der Hinkende.
»Legt euch schlafen«, sagte Cabbar. »Ich halte Wache.«
Um Mitternacht fühlte er sich geweckt. Cabbar stand an seinem Lager. Memed hatte nicht schlafen können. Wütend fuhr er hoch: »Was willst du noch von mir? Hast du deine Freundschaft nicht schon genug bewiesen?«
»Bruder! Laß diese Sache! Hatçe kommt doch ohnehin frei! Haben nicht die Zeugen alle ihre Aussagen widerrufen? Sie müssen sie doch freilassen.«
»Und warum schicken sie sie nach Kozan zum Schwurgericht? Ich allein trage die Schuld daran, daß sie von Gefängnis zu Gefängnis geschleift wird. Entweder ich befreie sie, oder ich muß sterben. Ich will dich nicht zwingen, mit mir zu gehen. Bei dieser Sache ist nur der Tod zu holen! Ich kann dich verstehen.«
»Für dich würde ich alles tun, Memed, aber das ist reiner Wahnsinn. Hör doch auf mich!«
»Du kannst dir jedes Wort ersparen. Was habe ich denn davon, wenn ich so weiterlebe?«
Cabbar ließ Memeds Hand fahren. »Wer durch eigene Schuld umkommt, den beweint man nicht.«
Er zog sich in seine Ecke zurück.
Drei Tage gingen sie sich aus dem Weg. Memed stieg jeden Morgen in aller Frühe in die Berge hinauf und kam erst bei Dunkelheit zurück.
Am Dienstagmorgen erhob er sich vor Sonnenaufgang und weckte Ali den Hinkenden.
»Ich gehe jetzt, Ali Aga.«
Ali sprang vom Lager auf »Das ist keine Sache für einen allein. Ich komme mit dir.« Er lachte. »Aber glaube nicht, daß ich dabei einen Schuß abgebe. Du schießt, und ich sehe von weitem zu. Ich werde dir aus Çiçeklideresi ein gutes Pferd besorgen, und eines für mich. Du mußt ihnen irgendwo auflauern, wo es nicht weit zu den Bergen ist. Am besten im Röhricht bei Sitir. Warte hier solange, ich gehe jetzt ins Dorf.«
Memeds Augen leuchteten vor Freude. »Wie kann ich dir das je vergelten, Ali Aga?«
Ali schüttelte traurig den Kopf.
Etwa zwei Stunden später - die Sonne war inzwischen aufgegangen - hörte Memed vor der Erdhütte ein Pferd schnauben.
»Ein Hochzeitspferd!« lachte Ali. »Ich habe es schön geschmückt!« Um den Hals des Pferdes hingen blaue Glasperlen und bunte Schnüre. Sattel und Zaumzeug waren silberbestickt. »Eine Satteldecke habe ich auch mitgebracht. Nicht nur für den Regen. Du ziehst sie über dich. Dann sieht man deine Waffen nicht. Komm jetzt, laß uns keine Zeit verlieren.«
Sie saßen auf Cabbar, leichenblaß, und Ali der Arme standen an der Tür. Memed ritt auf sie zu. Er sah Cabbar nicht ins Gesicht. »Leb wohl, Bruder Cabbar. Leb wohl, Ali.« Seine Stimme versagte.
Cabbar rührte sich nicht.
»Leb wohl, Bruder!« rief Ali der Arme. Sie galoppierten den Abhang hinunter. Cabbar blieb noch lange unbeweglich
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