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Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasar Kemal
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stehen.

25
    Obwohl die Sonne schien, ging ein feiner Regen nieder, der dann und wann aufhörte und wieder einsetzte. Das Schilfrohr tropfte. Die kleinen Wasserlachen auf den Blättern glitzerten in der Sonne. Damals erstreckte sich ein großes Schilfdickicht unterhalb Sitir. Die Straße verlief über diesem Röhricht den myrtenbewachsenen Berghängen entlang.
    Die beiden erreichten das Dickicht vom Dorf Küçük Çinar aus. Als die Sonne sank, hörte der Regen auf.
    »Einen besseren Platz zum Auflauern gibt es in der ganzen Çukurova nicht«, sagte Ali der Hinkende.
    »Hör mal, Ali Aga«, fragte Memed, »wie hast du all das nur herausgefunden? Du kennst ja jeden Stein hier.«
    »Als ich jung war, habe ich hier unten Pferde gestohlen und sie in die Berge hinaufgebracht. Da werde ich mich wohl hier herum auskennen!«
    »Ach so. Bist du aber sicher, daß sie diese Straße entlangkommen?«
    »Nach Kozan gibt es zwei Wege«, sagte Ali. »Der andere führt über Çukurköprü. Gut, daß es geregnet hat. Auf der Çukurköprü-Straße würden sie im Schlamm steckenbleiben. Also müssen sie unbedingt hier vorbei. Günstiger könnte es nicht stehen! Du siehst zu, daß du schnell mit der Sache fertig wirst, und machst, daß du in die Berge kommst, bevor sie wieder bei Besinnung sind. Hätte Cabbar geahnt, daß es so glattgehen würde, dann wäre er mitgekommen.«
    Memeds Miene verdüsterte sich, als er Cabbars Namen hörte. »Er hat Angst gehabt«, fuhr Ali fort, »und nicht ohne Grund. Von allen Banditen, die in die Ebene heruntergekommen sind, ist nicht einer am Leben geblieben. Das weiß er genauso gut wie ich.«
    »Nicht einer ist zurückgekommen?«
    »Kein einziger.«
    Sie öffneten ihren Vorratsbeutel und aßen. Dann sagte Ali der Hinkende: »Ich gehe jetzt der Stadt zu und komme dann hinter ihnen her. Lege du dich da oben irgendwo schlafen. Bei Morgengrauen kommst du wieder hierher. Binde das Pferd an einer Stelle an, wo es keiner sieht, und gehe dann dicht an den Straßenrand. Auf morgen also! Am Nachmittag werden sie hier sein.« Er schwang sich in den Sattel und sprengte davon.
    Sobald Ali der Hinkende außer Sichtweite war, saß Memed auf und ritt bergan. Er fand einen Steinbruch, der Schutz vor Regen zu bieten versprach. In ihm hatte sich Wasser angesammelt. Er häufte ein paar große Steine auf, um sich trocken betten zu können. Sein Pferd band er an einer großen Eiche fest. Dann wickelte er sich in die Satteldecke und schlief bald ein.
    Als er erwachte, dämmerte gerade der Morgen herauf. Er ritt wieder hinab zum Röhricht und setzte sich dort abwartend nieder, gegen einen Haufen trockenen Schilfs gelehnt. Seit dem Abend fühlte er sich seltsam; es schmerzte ihn am ganzen Körper. In den Halmen klebten die Waben eines Wespennestes. Auch Spinnen hatten hier ihre Netze ausgespannt.
    Während er sich umsah, fielen die ersten Sonnenstrahlen auf das Röhricht. Nichts fiel ihm so schwer wie Warten. Wie lange würde es dauern? Eine feuchte Hitze drückte auf die Ebene. Die Schatten der gegenüberliegenden Berge verlängerten sich nach Osten. Memed nahm seine Flinte und wechselte in eine Mulde nahe dem Straßenrand. Alle paar Minuten hielt er von der Straßenmitte Ausschau. Es war nichts zu sehen. Ungeduldig biß er die Zähne zusammen. Die Minuten wurden ihm zu Jahren. Am liebsten hätte er sinnlos in die Gegend geschossen, um sich von der unerträglichen Spannung zu befreien.
    Dann zog er seinen Dolch heraus und begann die Mulde zu vertiefen. Er grub mit aller Kraft. Die ausgehobene Erde warf er mit den Händen über den Rand der Grube. Atemlos rannte er wieder zur Straße. Nichts weit und breit! Seine Hoffnung begann zu schwinden. Er holte seine Flinte aus der Grube und stellte sich mitten auf die Straße. Bald würde die Sonne untergehen. Endlich - am anderen Ende der Straße bewegte sich ein großer Umriß, kam näher. Das Herz pochte ihm bis in den Hals. Er sprang jedoch noch nicht gleich in seine Deckung zurück. Erst als er zwei Frauengestalten und dahinter vier Gendarmen erkennen konnte, tauchte er langsam wieder ins Schilf unter.
    Über dem Berg war nur noch die Hälfte der Sonnenscheibe zu sehen. Er zielte auf das Bein des einen Hochgewachsenen am Ende der Gruppe und drückte ab. Der Mann drehte sich aufschreiend im Kreis herum, dann fiel er zu Boden. Memed feuerte so schnell er konnte weiter und strich die Straße nach rechts und links ab. Es klang wie Maschinengewehrfeuer. Die kleine Bedeckungsgruppe lief

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