Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasar Kemal
Vom Netzwerk:
schwieg er mit finsterem Gesicht vor sich hin.
    »Jetzt verstehe ich, warum er dich nicht geschlagen hat, als er dich von Süleyman zurückbrachte«, sagte die Mutter. »Er wollte uns unser bißchen Brot wegnehmen, der Gottlose.«
    Memed konnte nicht mehr an sich halten. Er brach in Schluchzen aus: »Alles meinetwegen ... «
    Mit all ihrer Kraft drückte sie ihn an sich. »Was soll jetzt nur werden?«
    »Der Winter ... «, sagte Memed.
    »Der Winter ... « Dann begann auch sie zu weinen. »Oh, wenn nur dein Vater noch da wäre ... «

6
    Eine einzige Kuh hatten sie. Die hatte dieses Jahr gekalbt, ein Stierkalb. Hätte Memed nur ein Dönüm eigenes Land gehabt, so hätte er ungeduldig auf einen zweiten kleinen Stier im nächsten Jahr gewartet. Die beiden Kälber würden dann zusammen aufwachsen. Ein Paar junger Stiere mit geschwungenen Hörnern, auf einer weiten Matte ... Sie beugen sich nicht leicht ins Joch. Man hat seine Last mit den Biestern. Aber schließlich sind sie sanft wie Lämmer, weil er es mit ihnen versteht ... Disteln, auf seinem Feld? Laß sie wachsen, ein, zwei Jahre lang. Dann, im dritten Jahr, vertilgen wir sie mit Stumpf und Stiel. Vorausgesetzt, der Acker gehört mir ...
    Neugeborene Stierkälber haben rötliches, ins Purpurne spielendes Fell. Aber es verändert bald seine Farbe, wird gelb, hellrot und endlich purpurrot. Der Flaum an den Ohren ist samtweich. Es fühlt sich wohlig kühl und weich an, wenn man mit der Handfläche daran rührt. In allen armen Bauernhäusern wird dein Kalb ein Platz in der Nähe der Feuerstelle eingeräumt, dicht neben den Schlafplätzen der Menschen. Man bereitet ihm eine Lagerstatt aus Frühlingsgras voller Blumen. Der Wohnraum riecht nach Frühlingsblumen und Dung. Darunter mischt sich der Milchgeruch des Kalbes. Erst im Herbst, wenn es größer geworden ist, bringt man das Kalb zu den anderen Rindern in den Stall.
    Dieses Frühjahr war vergangen, ohne daß sich Döne viel um ihr Kalb gekümmert hätte. In anderen, weniger von Sorge erfüllten Tagen wäre das Jungtier die Freude des Hauses gewesen, wenn es wie der leibhaftige Frühling umhersprang.
    Ihr Haus bestand nur aus einem nicht einmal mannshohen Raum mit einem Lehmdach darüber. Dieses Dach war das einzige im Dorf, das dem großen Herbstregen standhielt. Memeds Vater hatte den Lehm kurz vor seinem Tode aus Sariçağşak geholt. Dem Lehm von Sariçağşak kommt kein anderer gleich. Er hat Erdkristalle in sich, gelbe, rote, violette, blaue, grüne, alle durcheinandergemischt. Bei Sonnenschein glitzerte das Dach in allen Regenbogenfarben.
    Den ganzen Sommer hindurch hatten sie beide, Mutter und Sohn, draußen gearbeitet, was ihre Kräfte hergaben, nur um im Herbst entmutigt und sorgenvoll ins Haus zurückzukehren. Jetzt erst wurde ihnen richtig bewußt, daß sie ein Kälbchen im Hause hatten, aus dem inzwischen ein ansehnliches Jungtier geworden war.
    Die Mutter warf ein großes Scheit Holz aufs Feuer. Draußen schwammen dunkle Wolken nordwärts. Kurz darauf erhellte ein Blitz den Raum. Die Herdflammen verzehrten einander, als Memed mit blaugefrorenen Händen eintrat. Er hockte sich neben die Feuerstelle, blickte auf die Kuh, die zufrieden wiederkäuend dalag. Sie hatte Stroh vor sich liegen, fraß aber nicht. Hinten im Raum war noch mehr Stroh aufgeschichtet. Er stand auf, trat neben die Kuh, griff dem neben ihr stehenden Kalb ans Ohr. Aber das Tier liebte diese Berührung nicht, es zog den Kopf weg und wechselte auf die andere Seite der Kuh hinüber. Der Knabe lächelte.
    »Das hat Findik am Aliçli Dere geboren, als du weg warst«, sagte seine Mutter. »Ich suchte sie überall, und dann fand ich sie in einem Gestrüpp, um Mitternacht. Da stand sie neben ihm und leckte ihm den Kopf Erst wollte sie mich gar nicht zu ihm lassen, aber schließlich habe ich es in meine Schürze gewickelt und heimgetragen.«
    »Groß geworden ist es!«
    Dann starrten sie schweigend in die Glut, ohne einander anzusehen.
    »Anders geht es nicht«, sagte Döne plötzlich, »wir müssen es drangeben. Das Mehl ist jetzt schon verbraucht.«
    Memed schwieg.
    »Er wird uns so gut wie nichts dafür geben. Er hat es ohnehin auf uns abgesehen. Bis zum Sommer kommen wir nicht durch.«
    Memed antwortete nicht.
    »Es bleibt uns doch nichts anderes übrig, mein Junge! Ach, wärst du nur nicht davongelaufen. Das ist unser Verderben.« Langsam hob er den Kopf, blickte seiner Mutter ins Gesicht, die Augen voll Tränen. »Ich bin ja nur der

Weitere Kostenlose Bücher