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Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasar Kemal
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Er blieb an der Tür stehen.
    »Hört zu, ihr: Daß ihr mir dieser Döne nicht ein Korn gebt! Bis jetzt ist in Değirmenoluk noch niemand verhungert. Aber sie wird verhungern. Oder sie verkauft, was sie vielleicht noch hat. Wenn ich höre, daß einer ihr etwas gibt, komme ich und nehme ihm weg, was ich ihm gegeben habe. Nur damit ihr Bescheid wißt.«
    Aus der Menge murmelte es: »Es reicht ja nicht einmal für uns ... « Ein Weib kreischte: »Hätte er nicht weglaufen sollen ... Was geht's uns an? Soll sie verrecken!«
    Alle kehrten mit einem Sack voll Vorräten nach Hause zurück. Roggen, Weizen und Gerste, von allem ein wenig.
    Am nächsten Tag war der Platz vor der Mühle, am anderen Ende des Dorfes dicht unter der großen Platane, mit Säcken verbarrikadiert. jetzt war der große Tag für Ismail den Ohrlosen, den Müller. Er hatte alle Hände voll zu tun. Gegen Abend drang der warme Duft frischen Brotes aus allen Häusern.
    Durmuş Ali war der freundlichste Mann im Dorf, ein Sechziger, kernig wie eine alte Platane, der aus winzigen Äuglein in die Welt schaute. Sein ganzes Leben lang hatte er nie Schuhwerk an den Füßen getragen. Eine dicke, rissige schwarze Hornhaut an den Sohlen tat ihm den gleichen Dienst. Seine Füße waren so groß, daß es keine Schuhe, auch nicht Bauernschuhe, gab, in die sie passen würden. Fragte ihn einer, warum er immer barfuß gehe, so waren nur lästerliche Flüche von ihm zu hören.
    Die Frauen waren mit Backen beschäftigt. Eine knetete Teig, eine rollte die Laibe, eine buk sie auf dem Backblech. Dickes Fladenbrot häufte sich schon daneben an.
    Ali aß mit Behagen ein paar davon. Plötzlich wurden ihm die Augen feucht. »Frau, es will mir nicht recht schmecken heute.«
    »Aber was hast du denn, Ali?«
    »Die Leute von unserem Ibrahim. Es geht mir nicht aus dem Kopf, was der gottlose Abdi mit ihnen macht. Er hat Döne zum Teufel gejagt. Nicht ein Körnchen hat er ihr gegeben gestern.«
    »Die Ärmste! « sagte die Frau. »Ja, wenn Ibrahim noch da wäre ... «
    »Abdi hat uns sogar gedroht ... «
    »Ich weiß, ich hab's gehört.«
    »Kann es so etwas geben? Daß zwei Mäuler Hunger leiden müssen, vor unser aller Augen, mitten in diesem großen Dorf« So wütend schrie er es hinaus, daß es weit weg noch zu hören war. »Komm, Frau, mach ein anständiges Bündel von dem Brot zurecht. Und füll auch ein Ölçek Mehl in ein Säckchen ab. Ich bring es Ibrahims Leuten.«
    Die Frau klopfte sich das Mehl vom Rock, erhob sich vom Brotbrett. Ali eilte aus der Tür, beladen mit Sack und Bündel. Er glich einem mächtigen Baum, in dessen Ästen der Sturm tobte. Erst vor Dönes Haus kam er zur Ruhe.
    »Döne, Döne, mach die Tür auf!« rief er.
    Döne und ihr Sohn saßen in sich zusammengesunken am erloschenen Herdfeuer, erstarrt wie Stein. Als Döne endlich die Stimme erkannte, raffte sie sich zusammen, stand auf und öffnete apathisch die Tür. »Tretet nur ein, Ali Aga.«
    Ali mußte sich durch den Eingang hindurchbücken. »Was läßt du mich den halben Tag draußen stehen, Mädchen? Und warum brennt hier kein Feuer?«
    Vor Alis lachendem, gütigem Gesicht verloren Memeds Augen das wilde Sprühen.
    Ali zeigte auf das Vorratsbündel: »Gott ist barmherzig!«
    »Ja, man sieht es.«
    »Aber kalt ist mir, Döne. Schau nur, das Kind ist ganz in sich zusammengekrochen. Komm, mach Feuer!«
    Döne sah mit leeren Augen zum Herd. »So, ist es ausgegangen? Ich habe es gar nicht gemerkt.«
    Sie legte Holz auf, brachte das Feuer wieder zum Brennen. »Dieser gottlose Abdi ... «
    Bei dem Namen Abdi erschienen die Funken wieder in Memeds Augen.
    »Wer den totschlägt, um dessen Hand wird der ewige Glanz sein. Ins Paradies wird er eingehen«, sagte Ali. »Sein Vater war ganz anders. Der hatte auch für die Dorfleute immer ein gutes Herz.«
    Nach Ali brachten auch noch andere Döne zu essen. Abdi erfuhr nie etwas davon. Aber mit dem, was ihr die Mitleidigen brachten, konnte sie sich nur zwei Wochen lang weiterhelfen. Als die beiden zwei Tage gehungert hatten, band Döne, ohne ein Wort zu sprechen, der Kuh einen Strick um den Hals.
    »Mutter ... «, sagte Memed, als sie das Tier hinter sich her zog. Sie stöhnte nur: »Mein Junge ... « Dann führte sie die Kuh bis vor Abdi Agas Tür. Dursun sah sie draußen stehen und sagte seinem Herrn Bescheid. Als der Aga erschien, blickte sie zu Boden. Ihr spitzes Kinn, ihre Lippen, ihr ganzer Körper zitterten.
    Abdi Aga schlug der Kuh mit der Hand auf den Rücken.

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