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Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasar Kemal
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Vorwand! Wenn ich nicht wäre, würde er einen anderen Grund finden.«
    »Da hast du recht. Er war schon deines Vaters Feind, der Gottlose.«
    Und dann wandten sie sich beide der Kuh zu. Es war eine rötliche kräftige Kuh mit weißen Punkten an der Stirn.
    Der Winter kam mit kniehohem Schnee. An einem dunklen schneeverhangenen Mittag hatte Döne den rußschwarzen Kupfertopf auf den Herd gestellt. Das Wasser kochte schon geraume Zeit, als die alte Cennet eintrat.
    »Kommt, setzt Euch, Frau Cennet«, sagte Döne.
    »Ach, wozu soll ich mich setzen, Schwester«, ächzte die Alte. »Seit dem Morgen laufe ich von Haus zu Haus. Ich weiß mir nicht mehr zu helfen. Ich höre, daß auch du keinen Weizen mehr hast. Und die Gerste sei auch zu Ende. Wir haben schon seit einer Woche nichts mehr. Schon lange kann man den Boden in den Säcken sehen.
    Mit unserer Ernte war es nichts dieses Jahr, Schwester. ja, wenn wir noch soviel gehabt hätten wie ihr ... Mein Alter ist schon überall gewesen und wollte borgen, aber keiner kann etwas abgeben.«
    Dann sah sie das Wasser auf dem Herd kochen. »Was willst du denn da kochen?« fragte sie absichtsvoll. »Kochen? Wasser.« Döne lächelte bitter. »Hast du denn gar nichts mehr?« Cennet staunte ungläubig. »Was wir haben, steht da auf dem Feuer.«
    In der Stimme der Alten klang Mitleid: »Ja, und was willst du nun tun?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Willst du nicht Mustulu noch einmal fragen?«
    »Der hat auch nichts mehr.«
    Der Schneesturm ließ alles Leben ersterben. Das sind Tage, an denen man die Augen nicht aufmachen kann, an denen man nicht einmal einen Hund draußen sieht. Das Dorf liegt tot und stumm wie ein Berggipfel. Überall sind Türen und Kamine abgedichtet. Jede Verbindung von Haus zu Haus hört auf jetzt blieb kein Haus mehr, wo Döne nicht auf ihren Bittgängen angeklopft hätte. So brachte sie sich und Memed von einem Tag zum anderen durch, vielleicht eine Woche lang, vielleicht ein paar Tage länger. Nur an einem Haus klopfte sie nicht an ... Nein, dort nicht. Lieber Hungers sterben.
    Es war jedes Jahr dasselbe. Mehr als die Hälfte der Dorfbewohner hatten nichts mehr zu essen. Dann kamen sie bettelnd zu Abdi Aga. Döne brachte es nicht über sich.
    Aber der Junge ... Er sprach seit Tagen kein Wort. Nicht ein Tropfen Blut war mehr in seinem Gesicht, seine Lippen waren dünn wie Papier. Alles Leben war aus ihm gewichen, den ganzen Tag blieb er reglos auf einem Fleck sitzen und brütete, den Kopf zwischen den Händen, vor sich hin. Seine ganze Lebenskraft, Haß, Liebe, Angst und Mut speicherte sich in seinen übergroßen Augen. Dann und wann sprang ein winziger Funke in diesen Augen auf, wie im Auge des Tigers, der zum Sprung auf seine Beute ansetzt, um sie zu zerreißen. Wo mochte er wohl herkommen? Vielleicht war er ihm angeboren. Wahrscheinlich aber kam er von der Folter, der Not und dem Kummer, die er zu ertragen hatte.
    Am Himmel ballten sich immer noch die schwarzen Wolken. Vor Abdi Agas Tür stand ein sich in der Kälte aneinanderdrängender Haufen zitternder Menschen in zerlumpten handgewebten Kleidern. Nur eine Gestalt stand abseits: Döne. Sie alle warteten auf Abdi Aga, von dem sie hofften, er werde erscheinen und mit ihnen reden. Er kam dann auch mit seinem schmalen Spitzbart, mit seiner Gebetskette aus neunundneunzig Perlen, ein Käppchen aus Kamelhaar auf dem Kopf »Na, habt ihr schon wieder nichts mehr?«
    Keiner sprach. Als er Döne allein hinter der Gruppe stehen sah, rief er:
    »Du geh nur gleich wieder nach Hause. Du kriegst nichts von mir, nicht ein Körnchen. Hörst du? Bis heute hat in meinem Dorf noch keiner versucht, in ein fremdes Dorf fortzulaufen und dort Tagelöhner bei einem anderen zu werden! Das ist hier neu. Das hat erst dein Sohn, der Däumling, erfunden. Geh nach Hause ... «
    Und zu den anderen gewandt: »Folgt mir!«
    Dabei zog er einen Schlüsselbund aus seiner Pluderhose und ein Notizbuch aus der Westentasche.
    Als sich Döne wieder etwas in der Gewalt hatte, rief sie hinter ihm her: »Er ist ein unmündiges Kind, Aga! Laßt uns nicht verhungern.«
    Er blieb stehen, drehte sich um. Die Menge tat es ihm nach. »Was schert mich das! Soweit ich zurückdenken kann, ist aus Değirmenoluk keiner weggelaufen und hat sich in einem anderen Dorf als Hirt oder Tagelöhner verdungen. So etwas hat es noch nie gegeben ... Also, geh nur nach Hause, Döne.« Als er die Tür des Kornschuppens öffnete, drang warmer, staubiger Weizengeruch heraus.

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