Memed mein Falke
nistete fremd in ihren Nasen.
Memed zog Mustafa unter einen der Maulbeerbäume, in dem zahllose Spatzen so laut schilpten, daß es über den ganzen Markt zu hören war. »Mustafa, es ist Abend. Was machen wir jetzt?«
Der andere schaute abwesend.
»Die Bauern übernachten in der Herberge, wenn sie in die Stadt kommen. So hat es Onkel Durmuş Ali erzählt. Wir müssen zur Herberge.«
»Gut, gehen wir. Die Herberge ist besser als nichts.«
»Aber wo ist eine Herberge? Wie können wir eine finden?«
»Wie können wir eine finden?«
Scheppernd schlossen sich die Rolläden des Basars. Von dem Lärm wieder ganz zu sich gebracht, machten sich die beiden Hand in Hand auf den Weg. Zwei beleibte, Uhrketten auf den Bäuchen tragende Männer ließen sie vorübergehen, ohne sie nach der Herberge zu fragen. Zögernd blieben sie in der Dämmerung vor einem der Läden stehen, sich immer noch an den Händen haltend wie Kinder. Der Händler witterte Kundschaft, er schmeichelte: »Bitte, tretet doch näher! Was wünschen die Agas? «
Die ungewohnte, ihnen nicht geziemende Anrede schüchterte sie so sehr ein, daß sie schleunigst das Weite suchten, ohne ihre Frage vorzubringen.
Nahezu alle Läden waren schon geschlossen, aber sie trotteten noch fast eine Stunde im Basar umher, ohne den Richtigen für ihre Frage zu finden.
Als Memed schließlich stehenblieb, um auf Rat zu sinnen, durchfuhr es ihn mit einem Mal freudig. Vor ihnen ging einer im groben, handgewebten Wollwams der Leute aus den Bergen. Alle Scheu vergessend, rannte er ihm nach. »Halt, Bruder! Einen Augenblick!«
Der drehte sich um, erstaunt über die Aufregung des Burschen. »Was gibt's?« fragte er ungeduldig.
»Wir sind fremd hier ... «
»Na und?«
Memed war wieder nahe am Verzagen. »Wir wollten nur fragen, wie man hier zu einer Herberge kommt.«
»Geht mir nach«, knurrte der Mann, der seinen Weg schon wieder fortsetzte und in eine Nebenstraße einbog. Memed folgte, den Blick auf die unglaublich schnell ausschreitenden Beine vor ihm gerichtet. Das war der Schritt der Leute, die es gewohnt sind, steile Wege zu wandern. Die heben ihre Füße mit schnellem Schwung hoch, fast bis in Kniehöhe, und setzen sie dann vorsichtig wieder auf den Boden. Ganz anders als die auf der Erde entlang schleichenden Leute aus der Ebene. Die Herberge war ein unförmig-mächtiger, halbverfallener Bau mit einem großen, wurmzerfressenen Tor.
»Hier ist es«, sagte der Mann. Mit seinem schnellen Gebirgsschritt marschierte er weiter ins Dunkel hinein.
»Jetzt muß man den Herbergshalter finden.«
»Ja, wir müssen ihn finden.«
Der Innenhof der Herberge war voll von Pferden, Eseln, Maultieren und Karren. Eine fußhohe Schicht Pferde- und Eselsmist stank, daß es einem den Magen umdrehte. Mitten im Hof hing eine rußgeschwärzte Laterne an einem Pfahl.
Memed wandte sich an Mustafa: »Schau die Laterne !«
»Wie riesig!«
Ein aufgeregter, zwergenhafter Mann lief fortwährend hin und her. In einer Ecke stand eine Gruppe laut streitender Leute beisammen. An ihren dicken Filzumhängen konnte man erkennen, daß sie aus Maraş waren. Einer fluchte aus vollem Halse, wünschte dem Aga, dem Pascha, der Welt, dem Himmel, der Mutter und dem Weib die Pest an den Hals.
»Und wenn wir das Tuch nicht verkaufen können?« fing ein anderer an.
»Der Satan soll dein Misttuch holen!«
Was auch immer die anderen sagen wollten, jeder angefangene Satz wurde von einer Lawine Verwünschungen begraben.
Ganz am Rande der lauten Gruppe saß ein harmlos aussehender Alter mit sanften, freundlichen Zügen. Unbeteiligt lächelte er in sich hinein. Auf ihn ging Memed ohne Scheu zu.
»Onkel, wo ist hier der Herbergshalter?«
»Was willst du von dem Dummkopf?« fragte der freundliche Greis. »Der ist ins Wasser gefallen und ersoffen.«
»Oh, der Ärmste!« rief Mustafa aus, aber Memed stieß ihn in die Rippen. Er hatte längst erkannt, daß sie einen Spaßvogel vor sich hatten.
»Direkt auf den Kopf ist er gefallen!« kicherte der Alte.
Mustafa hatte immer noch nicht begriffen und schüttelte in staunendem Bedauern den Kopf.
»Nimm den nicht ernst«, sagte Memed. »Wir wollen hier in der Herberge übernachten. Also, wo ist der Mann?«
Mustafa glotzte verständnislos.
Der Alte zeigte auf einen anderen, der sich in der Nähe zu schaffen machte. »Da ist der Zuhälter, der sich Herbergshalter schimpft! Geht nur hin und sagt ihm, was ihr wollt.«
Der Herbergshalter hatte zugehört, er grinste.
»Schaut! Schaut her! Wenn ihr einen
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