Memed mein Falke
Zuhälter sucht, so ist der Weißbärtige neben euch sogar der Oberzuhälter. Sein Bart ist bei diesem Geschäft grau geworden, nicht in der Mühle ... «
»Höre, du Oberzuhälter, die Burschen suchen ein Quartier«, sagte der Alte.
»Ihr könnt bei dem weißbärtigen Zuhälter im Zimmer schlafen. Er zeigt euch, wo es ist.«
»Verschwinde, Zuhälter! Los, Burschen, kommt mit. Ich zeig euch euer Zimmer.«
Ängstlich stiegen sie eine staubbedeckte, schaukelnde Treppe hinauf, die so laut krachte, als sei sie kurz vor dem Zusammenbrechen. Sie kamen in einen schmutzstarrenden Raum, in dem eine Reihe Schlafstellen nebeneinander hingebreitet waren.
»Ihr seid wohl zum ersten Mal in der Stadt, was?« fragte der Alte.
»Ja, so ist es.«
»Nun? Ihr seht beide wie über zwanzig aus. Wie kommt das, daß ihr noch nie hier wart?«
»Wir konnten nicht«, sagte Memed beschämt. »Aus welchem Dorf seid ihr?«
»Von Değirmenoluk.«
»Ach, das Bergdorf, wie?«
»Ja.«
»Ihr habt noch nicht gegessen?« Jetzt spürten sie ihren Hunger.
»Ich bin Korporal Hasan«, sagte der Alte.
»Ich heiße Memed, und das ist Mustafa.«
Sie traten in einen Kramladen. Über rostigen Blechbehältern voll Rosinen, Traubensirup und Helva kreiste eine schwarze Fliegenwolke.
»Gib den Löwen hier, was sie haben wollen«, wandte sich Korporal Hasan an den Krämer. »Und mir Brot und Helva.«
»Uns dasselbe«, sagte Memed.
Im Licht einer flackernden Petroleumlampe verzehrten sie mit Heißhunger den süßen Imbiß.
Als sie in ihren Schlafraum in der Herberge kamen, waren alle Liegeplätze außer ihren eigenen schon besetzt. Sie legten sich in Kleidern nieder. Durch den Zigarettenqualm blakte eine Öllaterne an der schmierigen, mit Wanzenspuren bedeckten Wand. Überall wurde erzählt und gelärmt.
»Ihr übernachtet also zum ersten Mal in der Herberge?« Korporal Hasan drehte sich den beiden auf ihren Lagerstätten ausgestreckten Jungen zu.
»Ja«, sagte Memed, »man kriegt ja keine Luft vor Qualm und Gestank.«
»Na, und wie gefällt es euch in der Stadt?«
»Riesengroße Häuser gibt es hier, das muß man sagen. Alle wie Paläste.«
Korporal Hasan lachte: »Da müßtet ihr Maraş erst mal sehen!
Da gibt es einen großen Basar, da glitzert und gleißt es nur so, in allen Farben. Da kann man nur stehen und gaffen, hier die Stoffhändler, da die Sattler, dort die Kupferschmiede ... Das reinste Paradies ist Maraş, hundertmal größer und schöner als hier das Nest! Na, und Istanbul erst ... «
Memeds Gesicht verdüsterte sich. Alle Muskeln gespannt und mit gerunzelter Stirn fragte er: »Wer ist eigentlich hier der Aga?« Korporal Hasan verstand die Frage erst nicht, Memed mußte sie wiederholen.
»Was für ein Aga, Junge? Weshalb soll die Stadt einen Aga haben? Hier gibt es keinen Aga. jeder ist sein eigener Herr. Na ja, zu den reichen Leuten sagt man 'Aga'. Aber davon gibt es viele ... «
Memed verstand das nicht.
»Aber es muß doch einen Mann geben, dem das alles hier gehört. Die Läden und die Felder ... «
Der Alte merkte, worauf es hinausging. »Wer ist der Aga von eurem Dorf?«
»Abdi Aga.«
»Und alle Felder bei euch gehören Abdi Aga?«
»Wem denn sonst?«
»Und der Laden im Dorf?«
»Nun, dem Aga.«
»Und die Rinder, die Ziegen, die Schafe, die Ochsen?«
»Die meisten gehören ihm.«
Korporal Hasan strich sich nachdenklich den Bart. Dann begann er: »Schau mal, Memed, mein Sohn: Solche Agas, wie du sie kennst, die gibt es hier nicht. Die Felder gehören den Leuten, die hier wohnen. Natürlich gibt es auch welche, die kein Feld haben. Die Läden haben auch alle einen Besitzer. Die Agas haben viele Felder, die Armen wenige, das ist ja klar. Die ganz Armen haben überhaupt nichts.«
Memed kam aus dem Staunen nicht heraus. »Ist das die Wahrheit?«
Der Korporal darauf. »Meinst du, ich lüge dich an? Natürlich ist das die Wahrheit!«
Der Alte erzählte des langen und breiten von den Leuten ohne Grundbesitz, dann von Maraş und seinen Reisfeldern, von den Pflückern, den Weingärten, dem Boden dort ... von einem Aga namens Hocaoğlu mit so viel Land, daß man nicht so weit schauen konnte, mit Bottichen voller Goldstücke. Memed sagte kein Wort, er konnte sich nicht satt hören. Der alte Korporal war im Kaukasus in Kriegsgefangenschaft geraten. Er wußte von dort zu berichten, aber auch von Galizien, von Damaskus, Beirut, Adana, Mersin, Konya ... In Konya gebe es ein Heiligengrab, dann liege der große Mewlana. Dann brach er plötzlich seine Erzählungen
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