Memed mein Falke
Bergen halten können. Furcht, mit Liebe gepaart, läßt einen Räuber sich lange behaupten. Liebe allein wird als Schwäche ausgelegt. Die Furcht allein erzeugt jedoch Haß.
Ahmet dem Mächtigen wurde in all diesen sechzehn Jahren nicht einmal
ein Haar gekrümmt. Während der sechzehn Jahre seines Räuberlebens tötete er nur einen einzigen Menschen: einen, der seine Mutter vergewaltigt hatte, in der Zeit, als er beim Militärdienst war. Der Heimkehrende hatte kaum von der Untat erfahren, als er Hüseyin Aga erschlug und in die Berge ging.
Er war kein Wegelagerer. Dort, wo er umherstreifte, wagte kein anderer Räuber auf Straßenraub auszugehen. Er suchte sich die reichsten Leute der Çukurova aus. Denen ließ er durch einen von seiner Bande einen Brief überbringen, worin von einer bestimmten Summe Geldes die Rede war. Der Empfänger beeilte sich dann, es ihm zukommen zu lassen. Was er auch forderte, er erhielt es auf den Heller. Die anderen Räuber überfielen die Reichen, folterten sie, brachten sie um und zogen trotzdem mit leeren Händen, eine Abteilung Gendarmen auf den Fersen, aus der Çukurova ab.
Ahmet der Mächtige verpraßte nicht etwa das Geld, das er bekam. Was sollte er auch mit dem Geld da oben in den Bergen. Dort konnte er nichts damit anfangen. In den Gegenden, die er durchstreifte, brachte er den Kranken Arzneien, den Armen Mehl. ja, denen, die keine hatten, brachte er sogar Ochsen.
Als dann die Amnestie kam und er in sein Dorf zurückkehrte, zogen die Bauern von nah und fern herbei, um Ahmet den Mächtigen zu sehen. Dann blieb er für immer in seinem Haus, bebaute friedlich sein Land. Tat keiner Ameise etwas. Nur manchmal, wenn eine Ungerechtigkeit vorkam, dann konnte er im Zorn die alten Zeiten herbeiwünschen ... Er schwieg aber sofort wieder, als schäme er sich. Hatte er sich wieder beruhigt, konnte er über seine eigenen Worte lachen. Schließlich geriet er selbst in seinem eigenen Dorf als Ahmet der Mächtige in Vergessenheit. Denn der alte Weißbart, der dort still und friedlich sein Land bestellte, war nicht Ahmet der Mächtige, der lange Jahre über den Taurus geherrscht hatte. Die meisten konnten nicht einmal sagen, ob Ahmet der Mächtige noch am Leben sei. Aber die Legende lebte weiter, und wenn sich in den Bergen ein Räuber besonders hervortat, dann hieß es: »Wie Ahmet der Mächtige.« Wenn man von einem Räuber hörte, der sich nicht an Frauen vergriff, der die Straßenräuberei verschmähte, niemanden umbrachte und die Bevölkerung nicht drangsalierte, so sagte man, er sei wie Ahmet der Mächtige.
Der Alte wandte sich an Mustafa: »Haben sie dir auch erzählt, was Ahmet der Mächtige für ein Mann war?«
»Mein Vater sagt, so einen Räuber hat es nie wieder gegeben im ganzen Land, so tollkühn und anständig ... und dabei ein richtiger Vater der Armen ... «
»Und was sagen sie, wie er ausgesehen hat?«
Mein Vater sagt, er sei ein Mann wie ein Berg gewesen - mit dunkelverbranntem Gesicht und struppigem Bart, mit einem großen, schwarzen Mal mitten auf der Stirn. Mit Augen, die nur so blitzten. Seine Schüsse waren immer Volltreffer. Mein Vater hat sogar mit ihm gesprochen.«
»Und wer war es, der die Frau von Abdi dem Gottlosen den Räubern weggenommen und ihm zurückgegeben hat?«
»Na, wer anders soll es denn gewesen sein als du? Hast du es uns nicht so erzählt?«
Der Alte schüttelte bedauernd den Kopf. »Ich? Nein, ich war es nicht ... «
Memed blickte ihm aufmerksam ins Gesicht. Zwischen den weißen Büscheln der Augenbrauen bemerkte er ein großes, grünliches Mal. Nicht schwarz war es, grünlich ... Nach dieser Entdeckung kamen seine Augen nicht mehr los von diesem Gesicht.
Jetzt streckte sich der fremde Greis lang auf dem Boden aus, schob sich sein Bündel unter den Kopf
Mustafa stieß Memed an: »Los, komm jetzt«, sagte er leise.
Memed stand auf, die Augen immer noch auf dem Gesicht des Alten. Der öffnete die Augen. »Wollt ihr gehen?«
»Bleib gesund!« sagte Memed, Bewunderung in der Stimme. Mustafa sprach es ihm nach.
»Lebt wohl!« war die Antwort. Dann schloß er wieder die Augen. Das Wildwasser rauschte.
Bis zum Kiefernwald von Deveboynu sprachen sie kein Wort. Memed machte ein düsteres Gesicht. Ein bitteres Gefühl war in ihm, nur kurz unterbrochen von einer freudigen Empfindung. Ab und zu sah er Mustafa von der Seite an. Dessen Miene hatte einen erstaunten Ausdruck. Als sie eine Anhöhe erklommen hatten, ließ sich Memed ermüdet auf einen Stein nieder. Er
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