Memed mein Falke
so sehen.«
»Ist nicht so schlimm, Bruder. Wir brauchen uns nur das Gesicht ein wenig zu waschen.«
Schweigend stiegen sie von den Felsen in die Ebene hinab. Sie vermieden es, sich ins Gesicht zu sehen, als schämten sie sich einer bösen Tat. Schließlich streckte Cabbar die Hand aus, faßte Memeds kleinen Finger. Memed hob langsam den Kopf Ihre Augen trafen einander. Sie blieben stehen.
»Cabbar, wir folgen einem schlechten Menschen.«
»Ja, aber was sollen wir machen? Wer einmal angefangen hat ... Jetzt ist es zu spät.«
Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als sie das Zeltlager erreichten. Ein halbes Dutzend riesengroße Hunde stürzte auf sie zu.
»Haltet die Hunde fest! « rief Cabbar. Kinder kamen aus den Zelten, schrien auf, als sie die beiden Gestalten sahen: »Räuber, Räuber!« Jetzt erschienen die Frauen, hinter ihnen tauchten Männer auf.
»Friede sei mit euch«, grüßte Memed. Die Nomaden schauten verblüfft auf den blutjungen, schmächtigen Banditen. Neben ihm war Cabbar ein großer, kräftig gebauter, gut aussehender Mann.
»Beliebt, hier einzutreten, Agas«, sagte ein bärtiger Yürüke.
Sie bückten sich unter den Zelteingang hindurch. Memed, der noch nie ein Nomadenzelt von innen gesehen hatte, war so sprachlos über den Reichtum, der sich seinen Augen darbot, daß er nicht einmal das »Grüß Gott« des Besitzers wahrnahm. Buntbestickte Säcke standen dicht nebeneinander an der Rückwand. Ein verwirrendes Farbenspiel, in das sich die Sonnenstrahlen mischten ... Wo kam nur all das Licht im Zelt her? An einem der Säcke blieben seine Blicke haften. Er trug das Motiv der Liebesvögel, Hunderte, Aberhunderte kleiner Vögel, die sich schnäbelten, grün, blau, gelb, rot, violett ... Tränen stiegen ihm in die Augen. Der Zeltpfahl in der Mitte war mit kunstvoller Schnitzerei
bedeckt. Das Muster, springende Hirsche, war mit Perlmutt eingelegt.
»Was träumst du da vor dich hin?« stieß ihn Cabbar an. »Komm zu dir!«
Memed lächelte. »Wie wunderschön das hier ist! Ich habe noch nie ein Zelt von innen gesehen. Das ist ja wie im Paradies!«
»Wem gehört das Zelt?« fragte Cabbar.
»Mir«, antwortete der weißbärtige, rotgesichtige Alte, der ihnen gegenübersaß. »Ich bin Kerimoğlu.«
»Der bist du? Ich habe schon viel von dir gehört, Aga. jetzt sehe ich dich also auch von Angesicht. Dann bist du ja der große Kerimoğlu, der Stammesälteste von den Saçikarali?«
»Ja, der bin ich.«
Das Zelt füllte sich mit dem Geruch frisch gekochter, dampfender Milch. Der Aga blickte Cabbar an. Cabbar gab den Bück zurück.
Der Aga wandte sich um: »Die jungen Leute müssen hungrig sein, Frau, beeil dich!«
»Es ist gleich soweit. Die Milch kocht schon.« Memed lächelte Cabbar zu: »Meine Nase ... «
»Was ist denn mit deiner Nase?«
»Sie hat sich nicht getäuscht. Sie hat den Milchgeruch von draußen gleich gewittert.«
»Die meine auch. So sind nun einmal die Nasen aller Hungrigen.«
Kerimoğlus rotes Gesicht wurde noch röter, als er behutsam fragte: »Ihr kommt wohl aus dem Kampf, junge Leute?«
»Sergeant Asim hatte uns bös in der Zange«, antwortete Cabbar. »Aber wir sind noch mal davongekommen, Allah sei Dank.«
»Er ist ein Angsthase«, meinte Memed, »sonst hätte er uns einen nach dem andern abschießen können wie Rebhühner.
Schade um die viele Munition, die er in die Luft geknallt hat«, meinte Cabbar.
Die Frau breitete das Tafeltuch aus. Kerimoğlu machte lächelnd Platz.
Memed fühlte sich fremd, als sei er selbst ein anderer in dieser Umgebung. Sein Blick streifte die Flinte. Dann blickte er an sich hinunter. Patronengurte hingen ihm über die Brust, ein furchterregender Dolch und die Handgranaten an der Seite, auf dem Kopf hatte er den abgelegten, verbeulten Fes von Durdu dem Tollen. ... Ja, ein Bandit bist du geworden, dachte er bei sich. Ein Bandit wirst du bleiben, dein Leben lang.
Zuerst wurde die dampfende Milch aufgetragen, auf der sich eine dicke Rahmschicht runzelte. Dann kam Traubensirup, und dann brachten sie gebratene Fleischstückchen. Den beiden lief das Wasser im Mund zusammen. Sie schauten sich lachend an wie Kinder. Auch Kerimoğlu lachte, in seinem alten Gesicht glänzten die weißen, gesunden Zähne. »Langt zu, junge Leute, laßt euch nicht nötigen!«
Sie ergriffen ihre Löffel und stürzten sich auf die Milch. Im Nu war das Brot weg, neues wurde gebracht. Als sie die Milch aufgegessen hatten, wurde sofort nachgefüllt. Nach der reichlichen, hastigen Mahlzeit
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