Memed mein Falke
»Ich habe mich gewundert über dich, Ince Memed. Du siehst wirklich nicht aus wie einer, der jemals ein Bandit wird. Aber da kann man nichts machen. Der Kerl hat dich vielleicht grausam behandelt. So ist der Mensch. Man weiß nie, was in einem steckt.«
»Leb wohl«, sagten sie.
»Alles Gute«, antwortete Kerimoğlu. Seine weißen Zähne lachten. »Kommt nur wieder, zum Plaudern!«
Beide trugen sie in jeder Hand einen mit Brot, Käse und Butter prall gefüllten Beutel. »Was für ein guter Mann«, sagte Cabbar.
»Du, Cabbar«, entfuhr es Memed, »wir haben ihm ja seine Wäsche nicht zurückgegeben!«
»Na, wenn schon! Vergessen ist nicht gestohlen.«
»Nein, das geht nicht. Wir müssen zurück.«
Der andere lachte: »Kerimoğlu hat recht. Du hast nicht das Zeug zum Räuber.« Sie rannten zurück. Kerimoğlu stand vor dem Zelteingang. »Was ist?« fragte er überrascht.
»Wir haben vergessen, deine Sachen wieder auszuziehen. Deswegen sind wir zurückgekommen.«
»Ach so«, sagte Kerimoğlu erleichtert, »das laßt nur sein. Ich schenke sie euch.«
»Wirklich?«
»Ja, ja. Ich bin euch böse, wenn ihr sie auszieht.«
Erst bei Anbruch der Nacht erreichten sie die Felsen. Ganz oben flackerte ein Lichtschein.
»Dort oben müssen sie sein, Memed. Wo das Licht ist.«
»Die Unsrigen?«
»Wer sonst? Wer in der Welt macht sonst so ein Riesenfeuer als Durdu. Damit will er Sergeant Asim ärgern.«
»Laß den Erkennungspfiff hören, Cabbar. Ich habe nicht mehr genug Kraft dazu.«
Cabbar steckte zwei Finger in den Mund, stieß einen grellen, langgezogenen Pfiff aus.
»Junge, dein Pfiff ist eine Tagesreise weit zu hören!«
Vom Feuer oben ertönte ein Schuß. Eine ganze Salve folgte.
»Ob etwas los ist, Cabbar?«
»Durdu der Tolle feiert ein Fest. Wenn er sich richtig wohl fühlt in seiner Haut, dann muß er drauflosknallen.«
Obwohl sie sich zu erkennen gegeben hatten, kam ihnen keiner entgegen. Das kränkte sie etwas.
Als sie endlich am Lagerfeuer ankamen, fühlten sie sich am Ende ihrer Kräfte. Durdu und alle Gefährten standen auf und gingen ihnen entgegen.
»Salut!« rief der Tolle, zog seine Pistole und feuerte ein paarmal in die Luft. »Wir sind schon beinahe verhungert. Sergeant Recep jammert noch immer, aber jetzt kommt es vom Kohldampf!«
Durdus Feuer flackerte höher als zuvor. Das harzigen Geruch ausströmende Holz krachte laut.
Memed sah zuerst nach dem Sergeanten und fragte ihn, wie er sich fühle.
»Die Wunde wird bösartig! Sie brennt wie Feuer. Diesmal gehe ich drauf, du wirst es sehen ... «
Dann kümmerte sich Memed um Horali, den anderen Verletzten, der ihn mit einem Schwall von Flüchen empfing. Er verwünschte alles, was ihm gerade in den Sinn kam, und seine Wunde. Dann flüsterte er, als habe er etwas besonders Wichtiges zu sagen: »Hast du schon gehört? Abdi Aga ist nicht tot, der Zuhälter, der dreckige ... Aber keine Angst, den kriegen wir noch. Der Teufel soll sie alle holen, auch seinen Neffen ... der ist wenigstens hin ... «
»Ich habe Wundpflaster für dich mitgebracht, Bruder. Auch Salbe. Alles von Kerimoğlu. Die Salbe hat er selbst angerührt. Ein weiser, alter Mann. In zwei Tagen ist alles wieder gut ... «
»Zum Teufel mit deiner Salbe!«
»Sag das nicht, Bruder Horali. Sie hilft dir bestimmt!«
»Hoffentlich!«
Recep richtete sich auf »Das sind nur Redensarten von diesem Kerimoğlu! Ich will zufrieden sein, wenn mir's in einem Monat bessergeht.«
Nachdem Memed die Wunden der beiden versorgt hatte, setzte er sich aufatmend ans Feuer.
»Was sagt Cabbar da von dir, Memed? Der Mund hätte dir offengestanden, als du in Kerimoğlus Zelt kamst?«
»Ja, das stimmt, Durdu. Ich habe ja noch nie so ein Zelt von innen gesehen. Es ist wie im Paradies ... «
»Ja, der Kerimoğlu! Wenn der nicht so ein reiches Zelt hat, wer denn sonst?«
»Kennst du ihn näher, Cabbar?«
»Gehört habe ich viel von ihm. Er soll ein schwerreicher Mann sein. Das haben wir ja auch selbst gesehen ... «
»Was es für gute Menschen auf der Welt gibt«, sagte Memed. »Er hat aber auch an alles gedacht. Er hat uns zu essen gegeben, bis wir nicht mehr konnten, er hat meinen Kopf verbunden, unsere Wäsche waschen lassen. Und er hat uns noch Wäsche von seinen eigenen Sachen geschenkt!«
»Ja, er ist ein sehr großer Aga«, pflichtete Cabbar bei.
Durdu schüttelte den Kopf »Wie ist es nur möglich, daß wir von so einem berühmten Aga noch nie etwas gehört haben?«
»Er ist der Aga der Yürüken. Sie schlagen ihre Zelte auf und
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