Memed mein Falke
gehört. »Ich habe nicht mehr geschlafen. Ich warte schon eine ganze Weile auf euch.«
»Nun sind wir ja da, Bruder«, sagte Sergeant Recep.
»Ich habe ein Huhn für euch schlachten lassen. Ihr müßt jetzt einen tüchtigen Hunger haben.«
»Und wie, Bruder!« erwiderte Recep.
Durmuş Ali staunte den Sergeanten an. Alles Lederzeug, das er an sich trug, der Gürtel, die Patronengurte und der Gewehrriemen, war mit meisterhaft gearbeiteten Silberbeschlägen verziert. Sein lang herabhängender Schnurrbart schimmerte rot. Er pflegte ihn mit Henna zu färben.
Kaum saßen sie, als auch schon ein junges Mädchen mit schamhaft niedergeschlagenen Augen und einem heimlichen Lächeln zu Memed hin das Mahl auftrug. Zuerst kam heiß dampfender Reis, danach auf einer Platte das gebratene Huhn. Receps Augen leuchteten. »Das ist die beste Arznei für meine Schmerzen, dampfender Reis, der so recht nach Butter duftet!«
»Hör mal, Sergeant, du hättest eigentlich so ein feiner Pinkel werden sollen statt Bandit«, stichelte Cabbar.
»Halt's Maul!« fuhr Recep zornig auf
»Du sollst ihn in Ruhe lassen, Cabbar!«
»Was habe ich denn gesagt?«
Memed hatte gemerkt, daß Durmuş Ali ein paarmal halb zum Sprechen angesetzt hatte. »Was schluckst du die ganze Zeit, Onkel Durmuş Ali? Sag es nur!«
»Na ja, ich meinte, eh ... von Kind auf konnte man sich bei dir darauf verlassen, daß du ein anständiger Mensch werden würdest. Du hast recht getan, diese unschuldigen Kinder zu schonen.«
Das war mehr, als Sergeant Recep ertragen konnte. »Davon verstehst du nichts, Alter. Weißt du nicht, was Rache heißt? War dir noch nie danach zumute?«
»Nein.« Durmuş Ali senkte den Kopf.
»Wäre ich an Memeds Stelle gewesen, dann wäre in diesem Haus kein lebendes Wesen übriggeblieben. Sogar das Haus hätte ich dem Erdboden gleichgemacht. Hast du das gehört, Alter?«
»Ja, ich habe es gehört«, sagte Durmuş Ali, den Blick auf Memed gerichtet.
Während des Essens saß Memed gedankenverloren und schweigend da, den Kopf vornübergebeugt.
»Von Herzen Dank, Onkel Durmuş Ali!« sagte er schließlich.
»Von Herzen Dank«, tat es Cabbar ihm nach.
»Von Herzen Dank«, fiel Sergeant Recep ein, »Jetzt bin ich wieder bei mir.«
Cabbar wollte eben zu reden beginnen, aber Memed hinderte ihn daran.
»Ich wollte dich noch etwas fragen, Onkel Durmuş Ali.«
»Ja, Memed?«
»Weißt du, in welches Dorf Ali der Hinkende gezogen ist?«
»Sie sagen, er sei nach Çağşak gegangen, zwei Tagesreisen von hier.«
»Wie können wir das genau erfahren?«
»Die Schwester des blinden Ali ist dort verheiratet. Seit zwei Tagen ist sie hier im Dorf. Die können wir fragen.«
Memed wandte sich an seine Gefährten. »Wir müssen Ali den Hinkenden finden. Wenn er in Çağşak ist, dann müssen wir eben dorthin.«
»Gut«, sagte Cabbar.
»Und meine Wunde?« meinte Recep. »Sie läßt mir keine Ruhe mehr, seit sie sich entzündet hat.«
»Du bleibst hier, Sergeant. Onkel Durmuş Ali wird dich pflegen.«
»Das werde ich gern tun, Bruder. Und sicher verstecken werde ich dich auch.«
Recep war ehrlich entsetzt über den Vorschlag. »Ich kann euch nicht allein lassen, und wenn ich draufgehe. Aber wie wäre es, wenn wir jemanden zu ihm schicken würden? Er soll hierherkommen.«
Durmuş Alis Frau, die bisher still in ihrer Ecke gesessen hatte, mischte sich in das Gespräch. »Meint ihr nicht diesen Gottlosen, der Memeds Spur verfolgt und all das Elend über ihn gebracht hat? Der kommt nie und nimmer. Der rückt aus in die Berge mit seinem schlechten Gewissen, wenn ihr nach ihm schickt.«
»Ihr müßtet zwei Tage hier bei uns im Stall bleiben«, sagte Durmuş Ali.
»Meinetwegen zwei Wochen«, antwortete Memed.
»Gut. Ich lasse einen Boten zum hinkenden Ali reiten. Er soll sagen, Durmuş Ali hätte einen Auftrag für ihn. Sie sagen, der Hinkende hätte geschworen, nie wieder eine Fährte zu suchen, nachdem das mir dir passiert ist. Aber mir zuliebe wird er kommen. Du wirst ihm doch nichts tun, Memed?«
»Ha!« rief die alte Frau dazwischen. »Bohre ihm einen Dolch zwischen die Rippen, Memed! Nur dieser ungläubige Hund ist an allem schuld, ohne ihn hätten sie dich nie gefunden, mitten im Wald. Durmuş Ali soll ihn herschaffen, und dann mache Hackfleisch aus ihm, hier vor der Tür! Ich will selbst losgehen und alle Dörfler zusammenholen. Sie sollen es alle sehen!«
»Red kein dummes Zeug daher, Frau«, sagte Durmuş Ali. »Als ob der Hinkende das getan hätte, um Memed zu schaden! Der
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