Memed mein Falke
geworden.«
Mit geschickten Händen machte sie sich daran, die Wunde freizulegen. Es war nicht leicht; der alte Verband war festgeklebt. »Bruder, deine Wunde ist aber bös entzündet. O du armer Kerl, was mußt du für Schmerzen haben!«
Recep klagte leise, mit zusammengebissenen Zähnen. Hürü versorgte die Wunde, umwickelte sie mit einem sauberen Verband. »Ah, das tut mir gut«, atmete der Sergeant auf »Allah segne deine hilfreichen Hände, Schwester.« Erleichtert legte er sich schlafen.
»Schlaf du auch, Bruder«, sagte Cabbar. »Ich wache jetzt.«
Hürü schickte sich an, von der Mühle Ausschau zu halten. »Sobald ich Gendarmen auftauchen sehe, schicke ich euch Nachricht. Sie sollen keine Schuftigkeit gegen dich begehen, Memed. Nicht in diesem Haus, nicht gegen Dönes Sohn ... « Sie ging.
Memed legte sich nieder, aber er konnte nicht schlafen, so müde und übernächtig er seit Tagen war. Die Mutter tot, Hatçe im Gefängnis, das war zuviel für ihn. Er war fast betäubt vor Schmerz, manchmal war ihm, als müßte er darunter ersticken. Der Kummer fraß an seinem Herzen wie helle Flammen. Alles war ihm zuwider, er selbst, die Menschen, seine Gefährten. Aber er ließ sich nicht anmerken, wie ihm zumute war.
Um Mitternacht riß ihn Cabbar aus seinen Gedanken. »Mir ist jetzt nach Schlaf. Komm, löse mich ab.«
Memed kletterte wieder auf den Strohhaufen, zog die Knie bis zur Brust hoch, stützte den Kopf darauf und grübelte weiter. Gegen Morgen übermannte ihn doch der Schlaf. Aber als die Stalltür aufging, fuhr er sofort hoch und hob die Flinte.
Durmuş Ali lächelte. »Was soll das, Ince Memed? Willst du mich totschießen? Höre, Ali der Blinde hat Ali den Hinkenden mitgebracht! Sie sind schon hier. Wecke deine Gefährten, kommt heraus. Ich habe dem Lahmen auseinandergesetzt, worum es geht. Er stirbt bald vor Angst. Meine verrückte Alte ist gleich auf ihn losgegangen, hat ihm ins Gesicht gespuckt. ‚Wenn Ince Memed dich nicht tötet, tue ich es', hat sie gesagt. Du kannst dir denken, wie der Kerl jetzt um sein Leben zittert. ‚Habt ihr mich hierhergebracht, um mich zu töten?' fragte er immerzu.«
In Memeds Gesicht war bei der Nachricht ein leiser Freudenschimmer erschienen. Auch Cabbar war wach geworden. Erst wollten sie den Sergeanten schlafen lassen, aber dann dachten sie, daß sie ihn damit erzürnen würden.
»Sergeant Recep, steh auf!« rief Cabbar. »Ali der Hinkende ist da. Wir müssen uns mit ihm besprechen.«
Recep versuchte vergebens, seinen Hals zu recken. »Was sagst du? Ali der Hinkende?«
»Komm, steh auf Wir müssen zu dem Kerl«, sagte Memed. »Wartet einen Augenblick!«
Der Sergeant klopfte sich das Stroh von den Kleidern, rückte sein silberbeschlagenes Lederzeug zurecht und zwirbelte den Schnurrbart. Dann zog er einen silbernen Kamm hervor und kämmte sich sorgfältig die Haare. Aber er vermied es, auf seine Füße zu blicken; von seinen Schuhsohlen war nichts mehr übrig. Schließlich bürstete er noch mit dem Rockärmel den Staub von seinem Fes.
Cabbar konnte nicht an sich halten: »Und die Schuhe? Sie sind nicht gerade die schönsten, aber es muß wohl auch so gehen.«
Als sie ins Haus traten, versuchte Ali der Hinkende neben dem Feuer aufzustehen. Aber er war so schwach in den Knien, daß er nicht hochkam. Er war aschfahl im Gesicht.
Ali der Blinde sagte: »Den Bruder Ali habe ich geholt.«
»Danke dir«, sagte Memed.
»Also du bist dieser Schurke von einem Spurensucher?« starrte ihn Recep drohend an. »Hast du keine Furcht vor Allah, Mann? Und kein Schamgefühl im Leibe?«
Ali der Hinkende starrte reglos in die Asche der Feuerstelle.
»Still, Sergeant. Ich werde mit Ali Aga reden.«
»Ja, ja!« ereiferte sich Recep. »Sprich nur mit diesem Schuft ohne Ehre und Gewissen!«
Memed hockte sich neben Ali nieder. »Ich habe etwas mit dir zu bereden. Kommst du auf einen Augenblick mit nach draußen?«
Ali der Hinkende stammelte, erstarrt vor Angst. »Memed, das habe ich nicht gewußt, daß es so ausgehen würde. Laß mich am Leben! Ich habe Weib und Kind ... «
»Du brauchst keine Angst zu haben. Ich will dir nur etwas sagen, was kein anderer zu wissen braucht.«
»Gnade, Memed, Barmherzigkeit!« wimmerte Ali. »Ja, ich habe dir Schlimmes angetan, Bruder, aber vergelte es mir nicht!«
»Komm mit, ich will dir dort in der Ecke etwas sagen.«
Ali der Hinkende hatte keinen Tropfen Blut mehr im Gesicht. Er zitterte wie Espenlaub. »Memed, Bruder, ich will deine Fußsohlen küssen, laß
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