Memed mein Falke
einem Aufschrei sank die Frau zu Boden.
Die andere flehte noch inständiger. »Memed, Memed, du bist im Recht, aber meine armen Kinder haben dir doch nichts getan!«
In Sekundenschnelle wechselte Memeds Gesichtsausdruck. Die nadelkopfgroßen Funken in seinen Augen erloschen. Er sah, wie sich Receps Finger am Abzug bewegte. Für Worte war keine Zeit mehr. Mit dem Fuß schleuderte er den Gewehrlauf zur Seite. Die Kugel schlug in die Wand.
»Cabbar, laß das Kind los!«
Die Frau küßte ihm in überströmender Dankbarkeit die Hände. »Geh und suche diesen Gottlosen, töte ihn nur! Der Himmel weiß, daß du ein Recht dazu hast, armer Junge! Wenn ich ihm auch nur eine Träne nachweine, will ich nicht mehr Seyneb heißen!«
Memed erwiderte nichts. Mit schweren Schritten verließ er das Haus. Er fühlte sich wie ausgehöhlt.
Sergeant Recep war fuchsteufelswild, er verfluchte Gott und die Welt.
»Mit deinem Herzen wirst du nie ein Bandit werden!« Er packte Memed mit stahlhartem Griff am Arm. »Wie willst du auf diese Art zu deiner Rache kommen? Der Abdi läßt dich von seinen Leuten irgendwo in die Enge treiben und abschlachten. Vergiß nicht, du hast es jetzt auch noch mit dem tollen Durdu zu tun!«
»Red nicht so dumm!« warf Cabbar ein. »Wir haben einen Feind mehr, aber dafür haben wir einen ganzen mächtigen Stamm zu Freunden gewonnen. Mit den Saçikarali auf unserer Seite haben wir es nicht nötig, ein paar unschuldige Kinder umzubringen!«
Recep erwiderte nichts mehr.
Notdürftig bekleidet erschienen die von dem Lärm herbeigerufenen Nachbarn. Wie ein Lauffeuer drang die Nachricht »Memed lebt!« von Mund zu Mund. Schnell verbreitete sich die Kunde von seiner Großherzigkeit.
Sie bahnten sich ihren Weg durch die Menschenansammlung und verließen Abdi Agas Hof. Die Dorfleute waren so still, daß man sie in der Dunkelheit atmen hörte.
Erst jetzt sprach Memed wieder. Seine Stimme klang matt, wie gebrochen. »Wir müssen heraus aus dem Dorf. jetzt wissen sie es alle, sie lassen uns keine Ruhe mehr.«
»Meine Wunde hat sich entzündet, ich habe wahnsinnige Schmerzen«, sagte der Sergeant. »Was soll ich nur draußen damit anfangen? Halb verhungert sind wir auch.«
»Wir kommen später wieder zurück«, beruhigte ihn Memed. Im Dorf brach hinter ihnen ein Höllenlärm los. Von überallher war endloses, aufgeregtes Hundegebell zu hören.
Recep holte tief Luft. »Jetzt wollen wir uns erst einmal niedersetzen. Ich bin am Ende meiner Kraft. Meine Wunde gibt keine Ruhe.«
»Du, Sergeant, du bist ja andauernd verwundet. Irgend etwas ist immer los mit dir.«
Den Sergeanten packte der Zorn. Er stand auf »Du Hundesohn!« brüllte er. »Wenn du mir noch einmal so kommst, rücke ich dir auf den Pelz. Das kannst du mir glauben.«
Cabbar lachte schallend.
»Hör auf, Cabbar«, mahnte Memed. »Du bringst uns noch ins Verderben!«
Der Sergeant tobte. »Dieser Hurenbastard bringt mich noch so weit, daß ich nicht mehr weiß, was ich tue!«
»Hör nicht darauf, Sergeant Recep.« Memed versuchte ihn zu beruhigen. »Er macht nur Spaß.«
»Er soll sofort aufhören damit. Ich denke eben an meine Gesundheit!«
»Mach keine solchen Späße mehr, Cabbar!« sagte Memed.
Cabbar ging auf Sergeant Recep zu, ergriff seine Hände und küßte sie. »Verzeih mir, ich werde nie mehr Späße machen!« Sergeant Recep lachte. »Dieser Zuhälter versteht es, sich bei jedem Liebkind zu machen.«
»Einmal und nie wieder«, besänftigte ihn Cabbar. »Mit solchen Späßen ist es ein für allemal vorbei.«
Sie ließen sich auf dem Boden nieder, um abzuwarten, bis die Dörfler sich beruhigen und in ihre Häuser zurückkehren würden. Jeder hing schweigend seinen Gedanken nach.
Allmählich ebbte der Lärm im Dorf ab.
Cabbar ertrug das Schweigen nicht lange. »Sergeant Recep«, fragte er, »hättest du das Kind wirklich umgebracht, wenn Memed nicht dazwischengetreten wäre?«
»Ausgelöscht hätte ich es, mit Leib und Seele. Was sonst? Was kümmert dich das?«
»Nichts, nichts. Ich habe ja nur gefragt ... «
Sergeant Recep knirschte mit den Zähnen. »Cabbar, deine Mutter muß die Dorfhure gewesen sein und dein Vater der Kuppler!«
»Sei jetzt still, Cabbar!« mahnte Memed.
»Ich sage doch gar nichts.«
Das Dorf lag nun wieder in der gleichen nächtlichen Stille.
»Kommt, wir müssen zu Onkel Durmuş Ali, bevor es Tag wird.«
»Laß uns eilen, Memed, um Gottes willen«, sagte Recep. Durmuş Ali erwartete sie an seiner Haustür. Er hatte sie schon von weitem
Weitere Kostenlose Bücher