Memento - Die Feuerblume: Band 2 (German Edition)
sich ein Mädchen wie Iralene in ihn verliebt haben soll. Sie wirkt so normal, so perfektioniert; er hat sich nie normal gefühlt und war nie auch nur annähernd perfekt. Ist es nicht grausam, dass er sich nie daran erinnern wird? Er fragt sich, wie nah sie sich schon gekommen sind. Das ist doch eine berechtigte Frage, oder? Auch wenn es ihm peinlich wäre, Iralene tatsächlich danach zu fragen. Was, wenn sie bereits alles getan haben, was Ehepaare miteinander tun, und er es nur vergessen hat? Einerseits interessiert es ihn sehr – andererseits will er es gar nicht wissen, denn er fühlt sich nicht zu ihr hingezogen, so hübsch sie auch ist. Es ist seltsam: Er kennt Iralene und kennt sie zugleich nicht. Sie sind sich nah und doch fremd.
»Willst du die Erinnerungen wiederherstellen oder neu erschaffen?«, fragt er.
»Ist das ein Unterschied?«
»Glaubst du, dass man Erinnerungen wiederherstellen kann? Also dass ich mich irgendwann wieder an unseren ersten Ausflug in den Zoo erinnern werde? Oder müssen wir alles noch mal machen? Um die Erinnerungen neu zu erschaffen ?«
»Weiß nicht.« Ihre Schultern verkrampfen sich leicht. »Dein Vater hat gesagt, wir sollen uns amüsieren. Er hat es uns befohlen.«
»Vielleicht hab ich was gegen Befehle.«
»Sei nicht so«, sagt sie – und zum ersten Mal bemerkt Partridge einen wütenden Unterton in ihrer Stimme. Er ist überrascht, positiv überrascht. Es gefällt ihm, dass sie doch ein bisschen Mumm hat. Iralene wirft einen Blick auf Beckley, als wäre er mehr als ein Aufpasser – ein Informant, ein Schwätzer –, und deutet auf die Belugas. »Wusstest du, dass sie einen Bauchnabel haben? Sie sind uns sehr ähnlich.«
Die Belugas ziehen ihre Fluken tatsächlich so kraftvoll durchs Wasser, dass man fast glauben könnte, unter ihrer Haut würden sich menschliche Beine verbergen. Wie bei Meerjungfrauen. »Stimmt. Sie sind uns sehr ähnlich.«
Iralene lächelt ihn an. »Ich war noch nie so glücklich.« Sie sagt die Wahrheit, Partridge sieht es in ihrem Blick. Und natürlich wartet sie auf seine Antwort. Ihre Augen füllen sich mit Tränen. »Du liebst mich schon noch, oder?«, fragt sie.
Partridge gerät in Panik. Er beobachtet, wie Beckley von einem Fuß auf den anderen tritt, wie er herüberblickt und wieder wegschaut. Obwohl er sie von dort drüben nicht belauschen kann, wäre es Partridge lieber, wenn er verschwinden würde. Beckley ist wie ein Publikum – ein feindseliges Publikum, das schon mal eine Waffe zieht.
Wie soll er Iralene sagen, dass er sich nicht sicher ist? Er sehnt sich nach Liebe. Er spürt diese Sehnsucht, wenn er in ihre Augen schaut. Vielleicht ist er nicht mehr verliebt, aber er war es mal. Doch zu behaupten, dass er sie liebt, wäre eine Lüge, und wie soll er ihr vermitteln, dass er sich nicht sicher ist? Er erinnert sich nicht mal, sie geküsst zu haben. Und erst recht nicht, sie geliebt zu haben.
Partridge betrachtet ihre dunklen Wimpern, ihre vollen Lippen. Sie sitzt da und wartet, und so beugt er sich vor und küsst sie. Zuerst ist sie überrascht, und für einen Moment versteift sie sich, doch dann entspannen sich ihre Lippen. Partridge wartet auf ein Gefühl – auf ein bisschen Leidenschaft oder zumindest Vertrautheit. Doch der Kuss weckt keine Erinnerungen. Als würden sie sich zum ersten Mal küssen, nur dass der Kuss nicht kribbelt wie ein erster Kuss. Es ist ein leerer, hohler Kuss.
Als er sich von ihr löst, sagt sie: »Schon gut, Partridge.«
»Was ist gut?«
»Ich versteh schon.« Was versteht sie? Dass er ihr nicht sagen kann, dass er sie liebt? Er wünschte, seine Erinnerungen würden auf einen Schlag zurückkehren. Sie hätte es verdient. Es wäre das Mindeste.
»Du bist sehr schön«, sagt er. »Wirklich.«
Sie legt ihm eine Hand auf die Wange.
»Ich könnte …«, fängt er an. Und weiter? Ich könnte versuchen , mich wieder in dich zu verlieben? »Wir haben Zeit«, fährt er dann fort. »Wir müssen nichts überstürzen.«
Iralene schüttelt den Kopf und lehnt sich zu seinem Ohr. »Nein, Partridge«, flüstert sie. »Wir haben keine Zeit. Keine Zeit.«
LYDA
Schwäche
Der Lärm dröhnt ihr in den Ohren wie Trommelschläge. So geht es schon den ganzen Tag – draußen lesen die Mütter Namenslisten vor, reihen die Frauen in Gruppen ein, hämmern und sägen, und dazu das ewige Kindergeschrei. Wie in einem Bienenstock.
Die Vorbereitungen für den Angriff auf das Kapitol sind in vollem Gang, und Lyda kann
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