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Memento - Die Überlebenden (German Edition)

Memento - Die Überlebenden (German Edition)

Titel: Memento - Die Überlebenden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianna Baggott
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Technikerin, eine Frau mit Knubbelnase und Ponyfrisur, und beauftragt sie, eine Kamera zu organisieren.
    Partridge und sein Vater stehen vor den neuen Blaupausen, Schulter an Schulter, steif wie Soldaten.
    Dann gibt es einen Blitz …

PRESSIA
    Plündern
    Schon von Weitem kann Pressia den Markt riechen. Verdorbenes Fleisch, verdorbener Fisch, verrottete Früchte, Rauch, Verbranntes. Sie sieht die sich bewegenden Schemen der Straßenhändler, und sie erkennt sie an ihrem Husten. Der Husten ist typisch, und er ist ein Maß für das Stadium des Sterbens. Der eine ist kurz und trocken. Ein anderer beginnt und endet mit einem Schnaufen. Ein dritter beginnt und hört überhaupt nicht mehr auf. Einer würgt Schleim hoch. Einer endet in einem Grunzen. Das Grunzen ist der schlimmste Husten von allen, hat der Großvater ihr verraten. Es bedeutet, dass die Lungen bereits voll Wasser sind – Tod durch Infektion, Ertrinken von innen heraus. Großvater rasselt tagsüber, doch nachts, wenn er schläft, gibt er dieses grunzende Geräusch von sich.
    Sie hält sich in der Mitte der Gasse. Auf dem Weg zwischen den Hütten hindurch hört sie eine Familie streiten, einen Mann laut husten, Metall gegen eine Wand schlagen, eine Frau kreischen und ein Kind, das anfängt zu weinen.
    Als sie den Markt erreicht, sieht sie, dass die Händler bereits zusammenpacken. Sie haben Metallschilder vom Highway hergeschleift und daraus Dächer und Stände gebaut. Sie schließen die Läden mit durchnässten Spanplatten, laden ihre Waren auf klapprige Schubkarren, hüllen die Stände in zerfetzte Planen.
    Pressia passiert eine Tuschelgruppe – einen Kreis zusammengekauerter Rücken, leises Murmeln, gelegentlich ein Ausruf, weiteres Flüstern. Sie erhascht Blicke auf Gesichter, gesprenkelt mit Metall, Glas, welligen Narben. Der Arm einer Frau sieht aus wie in Leder eingewachsen, mit einer Manschette am unteren Ende, wo die Hand zum Vorschein kommt.
    Sie erblickt eine Gruppe von Kindern, nicht viel jünger als sie selbst. Zwei von ihnen – Zwillinge, beide mit zerschundenen, rostigen Beinen, die unter ihren Röcken hervorlugen – schwingen ein Seil für ein drittes Kind mit einem fehlenden Arm, das zwischen ihnen hüpft. Sie singen dazu:
    Verbrenn einen Reinen und atme die Asche,
    Nimm seine Därme und mach eine Tasche,
    Spinn seine Haare und mach einen Strick,
    Und koch seine Knochen zu Seife dick.
    Wischi-waschi, wischi-waschi, eins, zwei, drei
    Ein Reiner zu sein, ist keine Zauberei.
    Reine  – so werden die im Kapitol genannt. Die Kinder sind besessen von den Reinen. Sie tauchen in all ihren Kinderliedern auf, meistens tot. Pressia kennt das Lied auswendig. Sie ist selbst dazu im Seil gehüpft, als sie klein war. Sie hat sich diese Seife gewünscht, dumm, wie sie war. Sie fragt sich, ob es diesen Kindern ähnlich geht. Eine Reine zu sein – wie würde es aussehen, sich anfühlen? Die Narben auszuradieren, wieder eine Hand zu haben statt einer Puppe?
    Dort sitzt ein kleiner Junge mit Augen, die viel zu weit auseinanderstehen, fast an den Seiten des Kopfes sitzen wie bei einem Pferd. Er hütet ein Feuer in einem Metallfass. Zwei Spieße mit verkohltem Fleisch liegen auf den Rändern. Die Tiere auf den Spießen sind klein, Nagergröße. Diese Kinder waren noch Babys, als die Bomben fielen. Sie sind abgehärtet. Kinder, die vor den Explosionen geboren wurden, heißen Präs. Die danach geborenen Posts. Posts müssten eigentlich unversehrt sein, aber so einfach ist es nicht. Die von den Bomben verursachten Mutationen haben sich tief in den Genen der Überlebenden eingenistet. Babys werden nicht als Reine geboren. Sie sind mutiert, geboren mit Spuren der Verformungen ihrer Eltern. Tiere genauso. Anstatt von vorn anzufangen, scheinen die Nachkommen nur noch mehr ineinander verwoben. Eine Mischung aus Mensch, Tier, Erde und Gegenständen.
    Doch es gibt eine wichtige Unterscheidung, die die Leute in ihrem Alter machen – jene, die sich an das Leben vor den Bomben erinnern und jene, die es nicht tun. Manchmal spielen die Jugendlichen in ihrem Alter, nachdem sie sich kennengelernt haben, Ich-erinnere-mich. Sie tauschen Erinnerungen wie Geld. Das Maß an Intimität dieser Erinnerung zeigt, wie weit man sich der anderen Person gegenüber öffnen will – eine Währung des Vertrauens sozusagen. Diejenigen, die zu jung waren, um sich zu erinnern, werden zugleich beneidet und bedauert – eine abscheuliche Mischung. Pressia ertappt sich immer wieder

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