Memento - Die Überlebenden (German Edition)
aus. »Partridge, ist alles in Ordnung?«
Er zieht die Kapuze wieder über den Kopf, setzt sich auf die Felsen, während er wartet, bis er wieder zu Atem gekommen ist. Er schlingt den Arm um seine Tasche. »Tut mir leid«, sagt er.
»Was tut dir leid?«
»Dass ich geschrien habe. Du hast mich gewarnt, nicht zu schreien.« Er reibt mit dem Daumen über den Dreck auf der Hand und starrt ihn nachdenklich an. »Der Dreck«, sagt er mit einer Stimme, die plötzlich eigenartig friedlich klingt.
»Ja? Was ist damit?«, fragt sie.
»Er ist dreckig.«
PRESSIA
Wind
Auf der anderen Seite der Trümmerfelder angekommen, zieht Pressia die gefaltete Karte hervor, die Bradwell ihr bei der Versammlung in die Tasche geschoben hat, und studiert sie für einen Moment. Sie sind nur fünf Blocks von Bradwells Unterschlupf entfernt. Sie halten sich in Seitengassen. Alles ist ruhig. Keine Trucks der OSR, selbst die Gesänge vom Kesseltreiben sind verstummt. Einmal weint ein Baby, doch es beruhigt sich rasch wieder.
Partridge nimmt gierig alles in sich auf. Pressia kann sich nicht vorstellen, was so interessant sein soll an ihrer Umgebung. Ausgebrannte Ruinen, zerschmettertes Glas, geschmolzenes Plastik, versengtes Metall, und überall ragen scharfkantige Spitzen aus der Asche.
Er hebt die Hand, als versuchte er, eine Schneeflocke zu fangen. »Was ist das für ein Zeug in der Luft?«, fragt er.
»Was für ein Zeug meinst du?«
»Das graue Zeug.«
»Oh«, sagt sie. Sie bemerkt es nicht einmal mehr. Sie hat sich daran gewöhnt, dass die Luft voll davon ist, tagein, tagaus, und dass es sich wie ein dünner Schleier auf alles legt, das lange genug still hält. »Asche«, sagt sie. »Es gibt verschiedene Namen dafür – schwarzer Schnee, das schwarze Seidentuch der Erde – wie eine auf links gedrehte Tasche. Manche nennen es den Dunklen Tod. Wenn es aufgewirbelt wird und sich dann absetzt, nennen es manche einen Aschesegen.«
»Einen Segen?«, fragt Partridge. »Wir benutzen dieses Wort häufig im Kapitol.«
»Kann ich mir denken. Ihr habt ja auch jede Menge Gründe dafür.« Es ist nicht nett, was sie da sagt, doch es ist schon heraus.
»Ein paar«, räumt er ein.
»Wie dem auch sei, es ist Ruß und Staub und anderes Zeug, das die Druckwelle hinterlassen hat«, sagt Pressia. »Es ist nicht gut, dieses Zeug einzuatmen.«
»Da hast du sicher recht«, sagt er und zieht sich den Schal über Nase und Mund. »Du atmest es ein, und es schädigt deine Lungen. Ich habe darüber gelesen.«
»Was denn, habt ihr Bücher über uns, oder was?« Diese Vorstellung macht Pressia wütend – die Vorstellung, dass ihre Welt ein Studienobjekt ist, ein Aquarium mit Versuchstieren statt echten Menschen, die versuchen zu überleben.
Er nickt. »Eine digitalisierte Dokumentation.«
»Aber woher wollt ihr wissen, wie es hier ist, wenn ihr in eurem Kapitol seid? Sind wir eure Studienobjekte, oder was?«
»Ich habe nichts damit zu tun«, sagt er abwehrend. »Ich mache das nicht. Es sind die diensthabenden Leute, die das machen. Sie haben Kameras, die aus Sicherheitsgründen filmen. Die Asche macht die Aufnahmen undeutlich. Ein Teil der Aufnahmen wird in Form von Standbildern festgehalten. Und es gibt Berichte, die deutlich zeigen, wie schlimm es hier draußen ist und wie viel Glück wir haben.«
»Glück ist relativ«, entgegnet Pressia. Bis dahin jedoch beobachten wir euch aus der Ferne. So heißt es in der Botschaft. Endlich wird ihr klar, was damit gemeint ist.
»Aber sie erfassen es nicht wirklich«, fährt Partridge fort. »Es ist wie der Staub in der Luft.« Er winkt mit der Hand. »Wie er sich auf die Haut legt. Die Luft selbst ist kalt. Und der Wind. Niemand kann den Wind erklären. Wie er urplötzlich aufkommt und einem ins Gesicht weht. Und den Staub aufwirbelt. Das können sie nicht vermitteln.«
»Ihr habt keinen Wind?«
»Wie denn? Das Kapitol ist ein geschlossenes Bauwerk. Kontrollierte Lebenswelt.«
Pressia blickt sich um und denkt einen Moment über den Wind nach. Und ihr wird bewusst, dass es einen Unterschied gibt zwischen Ruß und Staub – zwischen etwas, das verbrannt ist, und etwas, das auseinandergerissen oder zerfetzt wurde – und dass Ruß und Staub sich unterschiedlich verhalten bei Wind. Sie hat vorher nie darüber nachgedacht, doch jetzt sagt sie: »Ruß steigt bei der geringsten Luftbewegung auf, während Staub schwerer ist. Er setzt sich auch früher wieder.«
»Siehst du«, sagt Partridge. »Genau das
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