Memento - Die Überlebenden (German Edition)
echt sein«, sagt Bradwell. »Vielleicht wurde der Chip erst später eingebaut.« Er streckt die Hand aus, und Partridge lässt den Chip in seine Handfläche fallen. »Wir schicken sie auf die Jagd.« Bradwell befestigt den Chip mit einem stinkenden, offensichtlich selbst gebrauten Epoxy-Kleber aus einem Glas an einem Stück Draht. Er nimmt die einäugige Ratte und drückt sie an seine Brust. Sie quiekt und windet sich, während Bradwell den Draht um ihren Körper wickelt und die Drahtenden verdrillt, damit der Chip nicht verloren geht. Dann trägt er die Ratte zu einem Abfluss im Boden, klappt den Deckel hoch und lässt das Tier hineinfallen. Partridge hört, wie es landet und laut quieckend davontrappelt.
Bradwell schüttet eine stinkende Flüssigkeit auf die Klamotten in der Schale. Partridge nimmt ein letztes Mal die Spieluhr in die Hand und zieht sie auf.
Bradwell zündet das Feuer an. Eine Flamme flackert auf.
Als das Lied zu Ende ist, reicht Partridge ihm die Spieluhr. Bradwell lässt sie ins Feuer fallen. Sie stehen da und sehen den Flammen zu.
»Wo ist das Foto?«, fragt Bradwell unvermittelt.
»Ehrlich? Auch das Foto?«
Bradwell nickt.
Partridge nimmt es nicht aus der Schutzhülle. Er kann es sich nicht noch mal ansehen. Er tröstet sich mit der Tatsache, dass sich das Bild in seine Erinnerung eingebrannt hat. Er hält das Foto über die Schale, lässt es hineinfallen und wendet den Blick ab. Er will nicht sehen, wie die Flammen das Gesicht seiner Mutter abblättern lassen.
Als Nächstes hält Partridge das Stück des Anhängers hoch, das noch immer mit der Halskette verbunden ist, das Stück mit dem blauen Edelstein. »Was, wenn Pressia hierher zurückkommt?«, fragt er. »Ich will, dass sie weiß, dass wir nach ihr suchen. Dass wir sie nicht aufgegeben haben. Wir könnten die eine Hälfte des Anhängers hier zurücklassen. Wir nehmen die andere mit, die mit der Inschrift. Sie kann die mit dem blauen Stein haben.«
Bradwell geht zu seinem Waffenversteck. Er kniet nieder, entfernt die Ziegel und zieht Messer, Beile und eine Betäubungspistole hervor. »Ich weiß nicht«, sagt er.
»Ich kann das nicht verbrennen«, sagt Partridge. »Ich kann es einfach nicht.«
Bradwell geht die Waffen durch. »Schön, meinetwegen. Behalte eine Hälfte, lass die andere zurück. Entscheidend ist, dass wir von jetzt an schnell sein müssen. Je mehr Zeit wir verlieren, desto kleiner wird unsere Chance, sie zu finden.« Er hakt ein Metzgermesser und einen Haken in Trageschlaufen an seinem Gürtel.
»Wohin gehen wir?«, fragt Partridge.
»Es gibt nur eine Person, von der ich mit Sicherheit weiß, dass sie nicht vom Kapitol kontrolliert wird«, sagt Bradwell. »Sie lebt in den Meltlands, und die sind ziemlich groß. Sie ist die einzige Person, die noch Macht hat und der wir vertrauen können.«
»Wenn die Meltlands so groß sind«, fragt Partridge, »wie finden wir sie dann?«
»So funktioniert das nicht«, sagt Bradwell und reicht Partridge ebenfalls ein Messer und einen Haken. »Nicht wir finden sie. Sie findet uns.«
PRESSIA
Spiel
Pressia sitzt auf der Kante ihrer Pritsche und wartet. Worauf? Das weiß sie nicht. Sie hat ihre eigene grüne Uniform. Sie passt. Die Hosen haben Bügelfalten und Umschläge. Die Umschläge haben die richtige Länge und streifen beim Gehen über die Stiefel, die schwer und steif sind. Sie bewegt die Zehen in den Stiefeln. Die Socken sind aus Wolle und warm. Pressia vermisst ihre Clogs nicht. Das würde sie ihrem Großvater zwar niemals sagen, doch sie liebt die Stiefel. Stabile Stiefel, die man beim Laufen nicht verliert.
Es ist ihr peinlich zuzugeben, dass sich das alles so gut anfühlt – Kleidung, die warm ist und passt. Ihr Großvater hat ihr erzählt, dass ihre Eltern ein Bild von ihr gemacht haben am ersten Tag im Kindergarten, gekleidet in eine Uniform, neben einem Baum im Vorgarten. Diese Uniform hier gibt ihr das Gefühl von Robustheit und Schutz. Sie ist Teil einer Armee. Sie hat Rückendeckung. Und sie hasst sich selbst für dieses unleugbare Gefühl von Einheit. Sie hasst die OSR. Zutiefst. Doch ihr dunkles Geheimnis, das sie niemandem gegenüber je offenbaren würde, am allerwenigsten Bradwell, lautet, dass sie die Uniform liebt.
Noch schlimmer ist allerdings, dass die Binde an ihrem Oberarm eine geradezu magische Macht auf die übrigen Jugendlichen im Raum auszuüben scheint. Auf der Binde ist das Symbol der OSR eingestickt, eine schwarze Klaue. Das gleiche Symbol,
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