Memento für Maybelle
zückte Yvonne
Prentice ihren Ersatzschlüssel, um uns in die Wohnung zu lassen. Es zeigte sich
schnell, daß sie recht gehabt hatte. Schränke und Schubfächer waren
leergeräumt. Die ganze Bude wirkte ausgesprochen unbewohnt.
Dalton hatte offenbar sein
Badezimmer als Dunkelkammer benützt. Aber abgesehen von einem Lichtschutz für
das Fenster und einem halben Dutzend Entwicklerschalen, die auf einem Regal
standen, war es ebenfalls leer. Als ich in den Wohnraum zurückkehrte, sah mich
Yvonne Prentice erwartungsvoll an.
»Sie haben bereits beim
erstenmal nichts übersehen«, verkündete ich.
»Dann bleibt uns also nichts
anderes übrig, als herumzusitzen und abzuwarten, bis sich jemand wegen der
Fotos bei Craig meldet«, sagte sie. »Na fabelhaft!«
»Wo ist die Wohnung Ihres
Bruders ?« fragte ich.
»Eine Etage tiefer. Die
Wohnungen sind hier alle gleich geschnitten .«
Die Türklingel schrillte, und
wir zuckten beide zusammen.
»Wer kann das sein, verdammt
noch mal ?« flüsterte sie.
»Am besten machen wir auf. Dann
wissen wir es«, schlug ich vor.
»Gehen Sie«, flüsterte sie.
»Ich habe Angst .«
Der Mann, der vor der Tür
stand, war etwa um die Vierzig und hatte die Anlage, fett zu werden. Sein
schwarzes Haar war dagegen bereits ziemlich schütter, und der Schnurrbart hing
leicht nach unten.
»Lloyd Dalton«, sagte er.
»Ich bin nicht Lloyd Dalton«,
korrigierte ich.
»Das weiß ich«, brummte er
unwillig. »Ich will aber zu ihm .«
»Er ist nicht da«, erklärte
ich.
»Er hat aber ausdrücklich
gesagt, nach zwölf Uhr mittags könnte ich jederzeit vorbeikommen .« Der Mann blickte umständlich auf seine Armbanduhr. »Und
jetzt ist es zwanzig vor eins. Ist er wirklich nicht zu Hause ?«
»Wirklich nicht«, erwiderte
ich. »Worum handelt es sich denn ?«
»Das geht Sie nichts an .« Seine schmutzig-braunen Augen musterten mich. »Wer sind
Sie überhaupt ?«
»Eine gute Frage«, versetzte
ich. »Und wer sind Sie ?«
»Louis Friedman«, antwortete
er. »Und Sie?«
»Rick Holman.«
»Sind Sie ein Freund von Lloyd ?«
»Ich glaube nicht, daß er
zurückkommt«, sagte ich.
»Was?« Seine Augen quollen
hervor. »Was, zum Teufel, sagen Sie da ?«
Die Unterhaltung begann ein
bißchen langweilig zu werden. »Warum kommen Sie nicht rein und überzeugen sich
selbst«, schlug ich vor.
Er stürzte an mir vorbei in die
Wohnung. Im Wohnzimmer hatte ich ihn wieder eingeholt. Yvonne lächelte ihn
nervös an und wartete auf eine Vorstellung. Friedman war jedoch an
irgendwelchen Höflichkeiten nicht interessiert. Er schaute ins Schlafzimmer, in
die Küche und ins Bad. Als er zurückkam, glänzten auf seiner Stirn
Schweißtropfen.
»Er ist verduftet«, sagte er
mit schwankender Stimme. »Der Hund ist verduftet !«
»Dies ist Yvonne Prentice«,
erklärte ich. »Yvonne, darf ich Ihnen Louis Friedman vorstellen .«
»Dieser Armleuchter!«
explodierte Friedman. »Was denkt der sich eigentlich ?«
»Wir haben offenbar das gleiche
Problem«, sagte ich. »Lloyd hat auch etwas, das für uns wichtig ist .«
»Fotos?«
»Fotos«, bestätigte ich.
»Ich weiß nicht, wie ich Benny
das beibringen soll«, jammerte Friedman. »Benny hat ihm wie einem Bruder
vertraut. Ja, noch mehr!«
»Benny ?« fragte ich neugierig.
»Benny Lucas«, erwiderte er.
»Das ist mein Boss .« Er blinzelte irritiert und sah zu
Yvonne hinüber. Sein Blick blieb flüchtig an ihrem Ausschnitt hängen. »Yvonne
Prentice? Besteht irgendeine Verwandtschaft mit dem Larry Prentice ,
der Sonntag abend ein Stockwerk tiefer erschlagen
worden ist ?«
»Ich bin seine Schwester«,
erklärte sie.
»Lloyd war ein Freund von ihm,
stimmt’s ?« Er nickte hastig, ohne eine Antwort
abzuwarten. »Vielleicht ist er deshalb abgehauen. Er weiß womöglich was. Ich
meine, deshalb suchen Sie doch wohl nach ihm, wie? Fotos? Was für Fotos? Etwa
solche, die verraten, wer Larry umgebracht hat? Verdammt! Benny wird einen Tobsuchtsanfall
bekommen !«
»Haben Sie eine Ahnung, wo
Lloyd stecken könnte ?« erkundigte ich mich. »Kennen
Sie irgendwelche Freunde von ihm ?«
»Lloyd hat noch nie Freunde
gehabt«, versetzte er angewidert. »Lloyd ist eine Laus! Ein guter Fotograf,
aber sonst gar nichts. Ich meine, ein Kerl, der jede Art von Aufnahmen liefert,
solange die Kasse stimmt. Was soll ich bloß Benny sagen ?«
»Sie kannten Larry Prentice ?« wollte ich wissen.
»Na klar kannte ich Larry. Er
war also Ihr Bruder, wie ?« Er musterte Yvonne. »Wird
er Ihnen
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