Memiana 1 - Ewige Wacht: 1 Xeno 1.2 (German Edition)
der Geschwistermonde mehr als zweitausend Schritt entfernt am Himmel vorbeiflog. Er beobachtete das tropfenförmige, wimmelnde Gebilde und zog den Mantel fester um sich, weil der tiefe Ton eine der Türen in seinem Gedächtnis aufgestoßen hatte, die er lieber geschlossen hielt. Er roch wieder das viele Blut der Klauenreißer nach dem entsetzlichen Kampf in der Höhle und sah Kobars tote Augen. Ein kurzes Zittern schüttelte ihn und es war nicht die Kälte des Graulichts.
Es war kühl auf dem Turm über dem Tor, aber nicht so kalt, wie Jarek es gewohnt war. Yala hatte ihm gesagt, dass es in den Ebenen nach Salas Untergang nicht so kalt würde wie oben am Anstieg zu den Raakhöhen oder gar erst im Gebirge selbst, das alles überragte und den Himmel zu stützen schien. Doch Jarek hatte sich ein mildes Graulicht nicht vorstellen können, bis er es jetzt selbst erlebte.
Der Mantel hielt ihn gut warm und die Schlafplätze in den Ansiedlungen und Wällen waren nicht mehr ganz so dick mit Salasteinen ausgekleidet, wie Jarek es aus der Umgebung von Maro gewohnt war, das nun schon mehr als dreißig Lichtwege hinter ihnen lag.
Die Erinnerungen an die Ansiedlung, in der er geboren war, waren die an ein ganz anderes, vergangenes Leben, das Jarek im Rückblick sehr einfach und klar erschien, ein Leben, in dem er seinen Platz und seine Aufgabe gehabt und sie erfüllt hatte, so gut er es gekonnt hatte. Aber jetzt änderte sich alles mit jedem Lichtwechsel, jeder Schritt führte zu einer neuen Herausforderung und Jarek bemerkte, dass er sie mit der leichten und nicht unangenehmen Anspannung im Unterleib erwartete, die er noch so gut vom Antritt eines jeden Jagdausflugs kannte.
Genau das war es, was er sich gewünscht hatte, wovon er geträumt hatte und das in dem Augenblick, als Kobar starb, für immer verloren schien.
Aber nun war alles ganz anders und Jarek fühlte eine Art der Zufriedenheit in sich wie noch nie in seinem Leben.
Er legte die Hände auf den Stein der Turmbrüstung und spürte, dass die Blöcke, die die Umrandung bildeten, lose waren. Es war dringend an der Zeit, den ganzen Wall zu überholen, bevor sich Risse zwischen den behauenen Felsstücken bildeten, in die Reißer ihre Krallen haken konnten, um sich an den senkrechten Wänden hochzuziehen, die Mauer zu überwinden und die Reisenden im Schlaf zu überraschen, die sich in diesem vernachlässigten Wall in einer falschen Sicherheit fühlten. Jarek hatte sich vorgenommen, in der nächsten Ansiedlung Bescheid zu sagen, dass Utteno seine Pflichten an den Wällen vernachlässigte und damit alle Reisenden in der Gegend in Gefahr brachte.
Wenn Matus schon seinen Pflichten nicht nachkam, musste sich doch irgendjemand darum kümmern.
Jarek hörte ein leichtes Klacken von Stein auf Stein. Jemand kam die Treppe hoch. Auch der Aufstieg zum Turm wurde baufällig und die schlecht verfugten Stufen gaben unter den Tritten nach.
Hama kam aus der Treppenöffnung, betrat die Plattform, die nur drei Schritte durchmaß, stellte sich neben Jarek und ließ den Blick über das Land streifen.
Utteno war schon lange außer Sicht und das Raakgebirge nur noch eine Ahnung am Horizont. In der anderen Richtung breitete sich eine Ebene aus, die nur von vereinzelten, flachen Hügeln gesäumt war. Rechter Hand konnte man einen Schatten erkennen, wie ein nachlässig ausgelegtes Seil auf den Felsen, vielleicht fünftausend Schritt entfernt: der Pfad, der nun eine weite Schleife bildete, um die wasserlose Ebene zu umgehen, die der Weg durchschnitt. Der Pfad selbst folgte jedoch den kleinen Caven am Rand des weitläufigen Salagrusfelsens, in den die Hufen der Phyle das tiefe Tal eingetreten hatten, dem die Herden für alle Zeit folgen würden.
„Es ist nicht mehr so kalt“, sagte Jarek und beobachtete einen kleinen Clan von Aasern, deren Vorderbeine weiter auseinander standen als die langen Hinterbeine und die sehr breite, flache Mäuler hatten. „Ich habe noch nie ein so warmes Graulicht erlebt. Sind das Vierspuraaser?“, fragte er dann und deutete auf die seltsamen Tiere, die sich mit tiefem, kurzem Gebell verständigten.
„Ja. Die gibt es hier überall.“ Hama drehte der Umrandung des Turmes den Rücken zu und schaute Jarek an. „Du kannst jetzt schlafen, Jarek. Ich übernehme die Wache bis zu Salas Aufgang.“
Jarek zögerte, aber Hama lächelte. „Geh nur. Du musst nicht mehr wachen, nach außen und nach innen.“
„Ihr denkt, wir sind jetzt außer Gefahr?“
„Wir
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