Memo von Meena (German Edition)
anderen zu gehören, blieb. Ich wollte einfach schon immer mehr vom Leben. Wollte mich nicht damit abfinden, dasselbe zu tun wie alle anderen. Und diese innere Einstellung schlug sich eben auch auf meinen Kontakt zu anderen Menschen nieder. Ich hielt mich fern von den Mädels, die ihre Nachmittage in Busbuden verbrachten und, Erwachsene mimend, an ihren Zigaretten zogen. Auch Partys mied ich und traf mich stattdessen lieber mit meinen wenigen Freundinnen zum Auswendiglernen unserer Lieblingssongtexte oder dem Nachhängen unschuldiger Verliebtheiten.
Rückblickend bin ich zwar der festen Überzeugung, es nur so zur Erfüllung meines Traums gebracht zu haben, eben indem ich mir und meinen Zielen stets treu geblieben bin, ich frage mich dennoch häufig, ob mir der Versuch, mich der Genügsamkeit meiner Mitmenschen anzupassen, nicht heute einiges erleichtern würde. Vielleicht würde ich mich weniger über die Taktlosigkeit der anderen aufregen, vielleicht käme ich besser mit der Oberflächlichkeit mancher Gesprächsinhalte zurecht. Vielleicht wäre ich leichter zufrieden zu stellen. Und vielleicht wäre es dann auch wesentlich leichter, den Richtigen zu finden.
Sehr viele Vielleichts. Aber es ist nur ein Memo – und da kann es kein Vielleicht zu viel geben. Aber eignen sich diese Vielleichts auch für eine Kolumne? Vielleicht.
Kapitel 7: Danke, liebes Bauchgefühl
Als er die Wagentür hinter sich ins Schloss fallen ließ, kamen ihm erste Zweifel. War sein allgemeingültiges Prinzip, stets auf sein Bauchgefühl zu hören, in diesem Moment wirklich angebracht? Was, wenn Raja von seinem Alleingang erfuhr? Sicher wäre sie alles andere als einverstanden.
Trotzdem brachte er es nicht über sich, seinen Entschluss erneut zu überdenken. So verrückt seine Idee auch war, wenigstens auf einen Versuch musste er es ankommen lassen. Und was hatte er schon zu verlieren? Die aufkeimende Antwort auf diese Frage vertrieb er mit einem heftigen Kopfschütteln, als er den Daumen auf den Klingelknopf neben der Eingangstür drückte.
Während er wartete fiel sein Blick auf einen Apfelbaum im Vorgarten, der erste Blüten trug. Die Fassade des Hauses war in einem harmonischen Sonnengelb verputzt, generell machte das Wohnviertel am Rande der sonst eher hektischen Stadt einen geradezu friedlichen Eindruck.
Er wandte sich erneut der Tür zu. Hinter dem Glas sah er die Umrisse eines Schattens näher kommen. Meena? Nein, unmöglich. Laut Rajas Aussage war sie momentan bettlägerig. Sein Mund wurde trocken, die Hände feucht. Ein Umstand, der ihn fast noch mehr verunsicherte als seine Entscheidung, ihre Wohnung aufzusuchen.
Eine Frau um die Sechzig, schlank und hoch gewachsen, öffnete schließlich die Tür.
"Kann ich Ihnen helfen?" Auf der Nase trug sie eine weinrot gerahmte Brille, deren Bügel in den Tiefen einer rotbraunen, leicht angegrauten Naturkrause verschwanden.
"Guten Tag. Mein Name ist Oliver Staude."
"Oliver Staude", wiederholte sie und für den Moment schien es, als versuchte sie, seinen Namen einzuordnen.
"Ich weiß, mein Besuch kommt sicher unerwartet. Ich bin sozusagen ein Kollege von Meena Teske, und ich wollte fragen, ob es vielleicht möglich wäre, kurz mit ihr zu sprechen."
" Sozusagen ein Kollege?"
"Ja, sozusagen deshalb, weil wir uns bisher nicht kennen."
"Tut mir leid", antwortete sie einsilbig. "Aber meine Tochter braucht absolute Ruhe."
Ihr Blick ließ keine Fragen offen. Er war unerwünscht. So unerwünscht, wie man nur sein konnte.
"Es wäre nur ein sehr kurzes Gespräch", antwortete er. "Sie muss dafür nicht aufstehen, und ich verspreche auch, es möglichst kurz zu machen."
Die eigene Aufdringlichkeit war ihm peinlich. Der Gedanke, den Weg umsonst gemacht zu haben, war ihm jedoch noch unangenehmer.
Sie verschränkte die Arme wie ein Türsteher vor der Brust. "Ich nehme den Zustand meiner Tochter sehr ernst. Keine aufwühlenden Gespräche über den Job. Keine unnötigen Besuche. Und vor allem kein Aufstehen."
"Wie gesagt, sie müsste ja auch nicht aufstehen. Wenn Sie ihr vielleicht sagen würden, dass ihre Schwangerschaftsvertretung vor der Tür steht und nur einen Moment lang mit ihr reden möchte, bin ich mir sicher, dass sie einverstanden wäre."
"Ach, Sie sind das!" Sie musterte ihn skeptisch. "Der Mann, der versucht, eine Frau zu sein."
"Wenn Sie das so nennen wollen." Er lächelte verlegen.
"Und Sie meinen also, dass Sie besser als ich beurteilen können, mit welchem Besuch meine
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