Memo von Meena (German Edition)
Tochter einverstanden wäre?"
"Nein, nein. So war das natürlich nicht gemeint. Ich wollte damit nur sagen ..."
"Was auch immer Sie sagen wollten, junger Mann, meine Tochter braucht Ruhe und das ist alles, was Sie wissen müssen."
"Ich verstehe."
"Schön, wenn Sie verstehen." Ihre Stimme hatte einen geradezu bissigen Unterton angenommen, der kurzzeitig die Frage in ihm wachwerden ließ, ob er sie womöglich an einen verhassten Exfreund ihrer Tochter erinnerte. Oder vielleicht an den eigenen geächteten Exmann?
"Wenn ein persönliches Gespräch nicht möglich ist", er zog eine Karte aus der Brusttasche seines Sakkos, "wären Sie vielleicht so freundlich, ihr diese Karte von mir zu geben? Ich würde mich freuen, wenn Sie sich bei mir melden könnte. Es geht um die Kolumne."
Ohne die Karte eines Blickes zu würdigen nahm sie sie entgegen. "Das wird sie in absehbarer Zeit ganz sicher nicht tun."
"Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie ihr die Karte trotzdem gäben."
"Danke für Ihren Besuch, Herr Staude. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich habe einen Sauerbraten im Ofen."
Sie warf die Tür ins Schloss und ließ ihn wie einen aufdringlichen Vertreter auf der Treppe stehen.
Soviel zum Thema Bauchgefühl, dachte Oliver, als er nach einem letzten Blick durch das milchige Türglas langsam zu seinem Wagen zurückging.
*
Sie ließ die Karte zwischen ihren Fingern balancieren, knickte die Ecken ein und wieder aus, während sie darüber nachdachte, was ihn dazu verleitet hatte, sie aufzusuchen. Ihre Mutter war nicht unbedingt die zuverlässigste Quelle, wenn es um das lückenlose Weiterleiten von Informationen ging, trotzdem hatte Meena ihr soviel entlocken können, dass sie zumindest wusste, dass er um ein persönliches Gespräch gebeten hatte.
Ein persönliches Gespräch. Aber warum? Hatte er Probleme mit der Kolumne? Und wenn ja, was ließ ihn annehmen, dass es somit auch ihre Probleme waren? Immerhin war sie nicht im Dienst. Bettlägerig, und mit weiß Gott wichtigeren Dingen beschäftigt. Dem Umstand zum Beispiel, sich auf die Geburt eines Kindes vorzubereiten, von dem sie bereits jetzt genervt war. Sechs Wochen Bettruhe bis zum planmäßigen Geburtstermin lagen noch vor ihr und nach wie vor war ihr schleierhaft, wie sie die Zeit bis dahin überstehen sollte, ohne an Langeweile zu sterben. Bis auf ihre Mutter, die für einige Wochen bei ihr eingezogen war, und den gelegentlichen Besuchen von Anja gab es kaum Abwechslung in ihrem Alltag. Sofern man bei ihrem Zustand wirklich von Alltag sprechen konnte. Vielmehr war es eine niemals enden wollende Anreihung farbloser Tage, die mit einem lebhaften Gemüt wie ihrem umso schwerer zu ertragen waren.
Sie las erneut den Namen auf der Karte. Oliver Staude. Sie hatte es sich verkniffen, ihre Mutter nach Details zu seinem Aussehen zu befragen, nicht weil sie sich vor ihr nicht die Blöße unangebrachter Neugier geben wollte, sondern vor allem, weil sie sich somit selbst das Interesse an unnützen Informationen eingestanden hätte. Und welchen Grund gab es, Interesse an einem Mann zu zeigen, mit dem sie praktisch rein gar nichts zu tun hatte? Weder praktisch noch theoretisch. Er war ihre Vertretung und allein in dieser Tatsache lag die Antwort: Er vertrat sie, weil sie nicht anwesend war. Und weil er anwesend war, während sie fehlte, gab es keinerlei Berührungspunkte zwischen ihnen, genauso wenig wie einen Grund, dies in absehbarer Zeit zu ändern.
Trotzdem wurde es mit jedem Blick auf die Karte und jedem Gedanken an die mittlerweile zweite Kolumne aus seiner Feder, die vorzugeben versuchte, aus ihrer Feder zu stammen, schwieriger, ihre Neugier zu verdrängen.
Sein letzter Artikel mit dem Titel "Der Mann auf dem Thron" hatte sie auf eine Weise fasziniert, die sie sich noch immer nicht so recht eingestehen wollte. Der Gedanke, dass ihre Aufnahmen nun in seinen Händen waren, dem Ohr eines Fremden praktisch hilflos ausgeliefert, verunsicherte sie zusätzlich. Hatte er seine bisherigen Kolumnen wirklich basierend auf ihren Memos geschrieben? Sicher, sie hatte einige ihrer Audionotizen in seinen Worten wieder erkannt, trotzdem ließ sie die Frage nicht los, ob ihn das Vorhaben geleitet hatte, ihre Ansichten zu imitieren oder tatsächlich auch seine eigene Meinung eingeflossen war? Passten womöglich ihre unzusammenhängenden Vorgaben zu seiner eigenen Lebensanschauung?
Sie versuchte, die eigenen Gedanken zu vertreiben. Lächerlich, sich all diese
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