Memo von Meena (German Edition)
zerreißen. Sie ist sozusagen der Star des Magazins. Abgesehen davon –", Marc lächelte, "erlebt man es nicht alle Tage, dass ein Mann eine Frauenkolumne übernimmt."
"Offiziell tue ich das ja auch nicht."
Marc schob sich eine Krokette in den Mund. "Und ich nehme an, du hast sehr strenge Auflagen, damit das Inoffizielle auch inoffiziell bleibt."
Seine direkte Art verwirrte Oliver. Andererseits war es seit Raja sein erster Kontakt mit einem Mitarbeiter des Magazins. Vielleicht lag die Möglichkeit, mehr über Meena zu erfahren, näher, als er vermutete.
"Eigentlich hatte ich gedacht, dass außer Meena, Raja und mir niemand sonst davon weiß", sagte Oliver.
"Na ja, Meena ist schon sehr präsent, wenn sie irgendwo auftaucht. Jede Feierlichkeit, jedes Meeting lebt von ihren Bemerkungen. Da kann sie nicht einfach unbemerkt untertauchen. Allerdings sind natürlich auch diejenigen, die davon wissen, angehalten worden, absolutes Stillschweigen zu wahren." Er beugte sich seitlich zu Oliver herüber. "Vor allem natürlich über die Tatsache, dass Meenas Feder derzeit in einer männlichen Hand liegt."
"Sehr lange liegt die Feder ja noch nicht dort", antwortete Oliver, und er spürte, dass das wissende Lächeln seines neuen Kollegen leichtes Unbehagen in ihm auslöste. Auch wenn sich Marcs Erkenntnis vermutlich nur auf das Berufliche bezog, fühlte Oliver sich seltsam ertappt. Ertappt bei den gescheiterten Versuchen, seinen Job frei von persönlichen Belangen zu erfüllen. Ertappt bei dem Vorhaben, mehr über eine Frau zu erfahren, die ihn über die Play-Taste des Diktiergerätes hinaus eigentlich nicht weiter zu interessieren hatte.
"Ich habe deine bisherigen Kolumnen gelesen", sagte Marc. "Mein Kompliment. Wirklich überzeugend weiblich."
"Danke. Allerdings ist es gar nicht so leicht, aus Meenas Memos das passende Thema auszuwählen. Einerseits muss es eines sein, das sie noch für keine ihrer bisherigen Kolumnen verwendet hat, andererseits sollte es in ihren Aufnahmen auch ausreichend angeschnitten sein, sodass es mir gelingt, zumindest ein paar halbwegs interessante Zeilen darüber zu verfassen."
"Hast du denn nicht genügend Material?"
"Oh doch, mehr als genug sogar." Oliver massakrierte eine Tomate auf seinem Teller. "Das Problem ist nur, dass es mir mit jeder Aufnahme von ihr schwerer fällt, einen wirklichen Inhalt auszumachen. Sie redet viel. Sehr viel. Und doch –"
"Und doch weiß man nicht, was sie eigentlich sagen will." Marc lachte. "Ja, so ist sie, unsere Meena."
Unsere Meena. Ein seltsames Gefühl überkam ihn. Für einen Moment bedauerte er es, sowohl Meena als auch ihr Dasein beim Magazin nur vom Hörensagen zu kennen. Welchen Teil dieser Gemeinschaft machte er aus, wenn er offiziell gar kein Teil war? Schloss die Funktion als Ghostwriter das Wörtchen offiziell nicht von vornherein aus? Und warum kämpften sich seine ständigen Gedanken um die eigene Daseinsberechtigung in diesem Job immer wieder an die Oberfläche?
"Hast du denn schon konkrete Pläne für deine nächste Kolumne?", fragte Marc.
"Keine konkreten." Oliver dachte nach. "Aber wenn ich in Meenas Sinne handeln möchte, ist es vermutlich ohnehin besser, keine Pläne zu haben und mehr aus dem Bauch heraus zu schreiben."
"Ist es denn das, was du willst?"
"Was meinst du?"
"Na ja", Marc machte eine Drehbewegung mit dem Zeigefinger, "in ihrem Sinne handeln."
"In wessen Sinne, wenn nicht in ihrem?"
"Keine Ahnung. In deinem vielleicht?"
Oliver nahm einen Schluck aus seinem Wasserglas. "Mein Sinn spielt hier vermutlich eine eher untergeordnete Rolle."
"Das würde ich so nicht sagen."
"Na ja, immerhin ist es nicht mein Name, der über der Kolumne steht."
Das Klopfen gegen ein Mikrofon lenkte die Aufmerksamkeit auf die Bühne, auf der Raja Markert mit einem kleinen Stapel Karten in der Hand im Scheinwerferlicht stand.
"Jetzt darf sie von mir aus stundenlang reden", sagte Marc. "Ich habe Fleisch, ausreichend Wein und eine unverschämt lange Aufmerksamkeitsspanne."
Und während sein redseliger Kollege das Steak auf seinem Teller zerkleinerte, erwischte sich Oliver bei der Frage, wie lang seine eigene Aufmerksamkeitsspanne von den Gedanken an die Kolumne unberührt bleiben würde.
*
Meenas Blick aus dem Fenster
Heute: Die Sache mit dem Nein
Ich war nie sehr gut im Nein-Sagen. Ein wesentlicher Grund dafür mag vielleicht die Tatsache sein, dass ich es nie versucht habe. Meine Eltern waren mir stets ein Vorbild
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