Memoiren 1902 - 1945
Lüge», ich war rasend vor Wut, «kein Wort habe ich über Hitler gesprochen.»
Heß etwas abfällig: «Bei einer Schauspielerin wären solche Sprüche schon denkbar, aber», fügte er nun einlenkend hinzu, «selbstverständlich werde ich die Herren Speer und Gutterer als Zeugen befragen.» Ohne mich zu verabschieden, verließ ich, die Tür hinter mir zuschlagend, den Raum.
Bisher hatte ich noch nie etwas mit Intrigen zu tun gehabt. Dieser Vorfall erschütterte mich so sehr, daß ich den ganzen Tag mein Hotel nicht verließ. Es tröstete mich auch wenig, als am nächsten Tag Speer und Gutterer mir sagten, Heß habe ihnen Glauben geschenkt und werde sich bei mir entschuldigen. In was war ich hineingeraten? Was braute sich da über meinem Kopf zusammen? Leicht möglich, daß Goebbels dahintersteckte. Meine Kameraleute erzählten, wie schwierig es gewesen sei, Aufnahmen von ihm zu machen. Jedesmal, wenn sie ihn filmen wollten, drehte er sich ostentativ um.
Durch diese Aufregungen und Widerstände erlitt ich in Nürnberg am letzten Abend einen Nervenzusammenbruch. Ich wurde ohnmächtig, und als ich erwachte, standen mein Bruder, ein Arzt und ein Mann in Parteiuniform vor meinem Bett. Als er seinen Namen nannte, bekam ich eine Gänsehaut, denn es war Julius Streicher, der Frankenführer und Herausgeber dieser widerlichen antisemitischen Zeitung «Der Stürmer». Ausgerechnet er hatte den Arzt gerufen und zeigte sich über meinen Zustand sehr besorgt. Nachdem der Arzt mich untersucht hatte und gegangen war, sagte ich zu Streicher: «Wie können Sie nur eine so schreckliche Zeitung wie Ihren ‹Stürmer› herausbringen?» Streicher lachte ungeniert und sagte: «Die Zeitung ist nicht für gescheite Leute wie Sie geschrieben, sondern für die Landbevölkerung, damit die Bauernmadeln den Unterschied zwischen Ariern und Juden erkennen.»
«Ich finde es trotzdem abscheulich, was Sie tun», antwortete ich.
Immer noch lachend, verabschiedete er sich und sagte: «Ich wünsche Ihnen gute Besserung, Fräulein Riefenstahl.»
Der Parteitag war zu Ende, auch meine drei Kameraleute waren schon abgereist. Der Arzt hatte mir Ruhe und größte Schonung verordnet. Aber wie konnte ich ruhig bleiben? Ich stand vor einem Scherbenhaufen. Meine glänzenden Erfolge als Tänzerin, Schauspielerin und junge Produzentin schienen in Deutschland beendet zu sein. Denn gegen die Macht des Propagandaministers, dem die gesamte deutsche Filmindustrie, Theater und Presse unterstand, und der mich als abgewiesener Liebhaber zu hassen begann, sah ich keine Chancen mehr für mich.
Kaum war ich in Berlin, wurde ich zur Reichskanzlei gebeten. Wie beim letzten Mal saß ich als einzige Frau an der großen Mittagstafel, und wieder war es Hitler, der das Wort führte, ab und zu von Dr. Goebbels, der diesmal zu meinem Schrecken anwesend war, sekundiert. Als die Tafel aufgehoben war, wurde ich wie bei meiner ersten Einladung in das mir schon bekannte Nebenzimmer geführt. Kurz danach erschien Hitler in Begleitung von Goebbels.
Eine peinliche Szene folgte. Die unerträgliche Spannung zwischen Goebbels und mir suchten wir vor Hitler zu verbergen.
«Erzählen Sie mir», sagte Hitler, «wie es Ihnen mit Ihrer Arbeit in Nürnberg ergangen ist?» Da konnte ich mich nicht mehr beherrschen. Erregt berichtete ich über alles, was ich an Demütigungen, Schikanen und Verweigerungen in Nürnberg erlebt hatte, auch über das merkwürdige Verhör durch Rudolf Heß. Mit Tränen kämpfend, brachte ich kaum mehr ein Wort heraus. Hitlers Gesicht war rot angelaufen, während Goebbels kreideweiß wurde. Hitler sprang auf und sagte zu Goebbels in scharfem Ton: «Doktor, Sie sind verantwortlich für das, was geschehen ist - es darf sich nie mehr wiederholen. Der Film über den Reichsparteitag wird von Fräulein Riefenstahl gemacht, und nicht von den Filmleuten der Partei - das ist mein Befehl.»
Verzweifelt rief ich: «Das kann ich nicht, das kann ich nie!»
Hitlers Gesicht wurde eisig: «Sie werden es können. Es tut mir leid, was Sie mitgemacht haben, und es wird nie wieder vorkommen.» Dann verabschiedete er sich, verließ den Raum und würdigte Goebbels keines Blickes. Auch der verließ, ohne mich anzusehen, mit versteinertem Gesicht das Zimmer.
Noch immer völlig verstört, war ich zu Hause angekommen. Da läutete das Telefon. Es wurde mir gesagt, ich hätte sofort ins Propagandaministerium zu kommen, der Minister wünschte
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