Memoiren 1902 - 1945
wegschieben, und sagte sarkastisch: «Die Verfilmung der Spiele hat nur einen Sinn, wenn der Film möglichst schon ein paar Tage nach Beendigung der Olympiade vorgeführt werden kann.» Genau dasselbe hatte mir Dr. Fanck gesagt. «Die Schnelligkeit ist hierbei das Entscheidende, nicht die Qualität», fuhr er fort.
Meine Antwort: «Das ist Sache der Wochenschauen, aber der Olympiafilm sollte ein künstlerischer Film werden, der noch nach Jahren seinen Wert hat. Um das zu erreichen», sagte ich, «müssen einige hunderttausend Filmmeter aufgenommen, gesichtet, geschnitten und vertont werden. Das ist mühsam und schwierig», fuhr ich zögernd fort, «und ich bin nicht einmal sicher, ob es gelingt. Sie können recht haben, Doktor, ich habe noch viel darüber nachzudenken. Vielleicht werde ich sogar auf diese Arbeit verzichten.»
«Gut», sagte der Minister, «ich bitte Sie, mich von Ihrer Entscheidung zu benachrichtigen.»
Nach diesem Gespräch war ich nahe daran, den Vertrag mit der «Tobis», den ich inzwischen erhalten hatte, nicht zu unterschreiben. Das Risiko erschien mir doch zu groß, und Goebbels Einwände hatten ihre Wirkung nicht verfehlt.
Und doch hatte mich dieser Film schon eingefangen. Immer intensiver beschäftigte mich diese neue Aufgabe. Was ich an Literatur über die Olympischen Spiele finden konnte, studierte ich und zerbrach mir den Kopf, wie dieses Projekt in seinen einzelnen Teilen in die Tat umgesetzt werden könnte. Genaugesehen war das ganze Unternehmen eben doch hoffnungslos irreal, selbst, wenn man nur die Hälfte der 136 Kämpfe zeigte. Dabei waren noch nicht die Vor- und Zwischenläufe eingerechnet, die oft bessere sportliche Leistungen bringen und dramatischer verlaufen können als das Finale. Rechnet man für jede Sportart nur 100 geschnittene Meter, was einer Laufzeit von ungefähr dreieinhalb Minuten entspricht, dann wären das bei 136 Konkurrenzen 13 600 Filmmeter, eine Strecke für fünf abendfüllende Großfilme. Vieles war noch nicht einmal eingerechnet, wie der Prolog, der Fackellauf, die Eröffnung der Spiele, das Tanzfest, das Olympische Dorf und die Schlußfeier. Fanck lag mit seiner Zeitkalkulation gar nicht so falsch. Eindeutige Konsequenz: So konnte der Film nicht gemacht werden. Man müßte auswählen, weglassen, Schwerpunkte setzen, das Wesentliche zeigen und auf Unwesentliches verzichten. Aber wie sollte ich vorher wissen, was sich als wichtig oder unwichtig herausstellen und bei welchem Vorlauf vielleicht ein Weltrekord aufgestellt würde. Das hieß, man müßte fast alles filmen, und dies aus allen nur erdenklichen Perspektiven. Und dann die Sklavenarbeit bei der Auswahl im Schneideraum.
Nicht nur die Fülle der Ereignisse wurde zum Problem. Auch war es notwendig, sich mit jeder einzelnen Sportart erst einmal vertraut zu machen, ihre Dramatik zu erforschen und zu erproben, wie man die wirksamsten Bilder erzielen kann. Trotz aller Bedenken war ich nach einigen Wochen schließlich bereit, den Film zu machen.
Nun müßte ich den Minister verständigen. Meine Entscheidung erfreute ihn nicht, und er warnte mich vor dem finanziellen Risiko. Ich versuchte ihn zu überzeugen, daß die von der «Tobis» garantierte Summe genügen würde, da weder Atelier- noch Stargagen zu zahlen wären.
«Glauben Sie denn wirklich, daß das Publikum interessiert sein könnte», fragte Goebbels ungläubig, «wenn es den Film erst nach einem oder zwei Jahren zu sehen bekommt? Und dann noch zwei Filme? Diese Idee gefällt mir nicht.»
«Es gibt keine andere Lösung», sagte ich, «ich komme um zwei Teile nicht herum, wenn ich auch nur das Wichtigste unterbringen will.»
Goebbels sarkastisch: «Dann wünsche ich Ihnen viel Glück für Ihr Abenteuer. Ich werde die Herren meines Ministeriums von Ihrem Vorhaben verständigen.»
Das Gespräch war beendet.
«Das Stahltier»
B ald danach mußte ich mich noch einmal an Goebbels wenden, so ungern ich es tat. Diesmal ging es nicht um meine Angelegenheiten, sondern um Willy Zielke, einen genialen Bildregisseur, und um seinen Film «Das Stahltier». Er hatte ihn im Auftrag der Deutschen Reichsbahn für das hundertjährige Jubiläum der Eisenbahn produziert.
Als ich diesen Film zum ersten Mal sah, blieb mir der Atem weg. Eine grandiose Bildsinfonie, wie ich sie seit Eisensteins «Panzerkreuzer Potemkin» nicht mehr gesehen hatte. Der Inhalt: Die hundertjährige Geschichte der Eisenbahn, das Schicksal
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