Memoiren 1902 - 1945
ihrer Erfinder und die Entwicklung von der ältesten Dampfmaschine bis zur modernen Lokomotive. Zielke hatte aus diesem spröden Stoff einen hinreißenden Film gemacht. Seine Lokomotive wirkte wie ein lebendes Ungeheuer. Die Scheinwerfer der Lok waren die Augen, die Armaturen das Hirn, die Kolben die Gelenke und das triefende Öl, das aus den bewegten Kolben lief, wirkte wie Blut. Verstärkt wurde der Eindruck noch durch die revolutionäre Tonmontage.
Als die Herren der Reichsbahndirektion den Film sahen, waren sie, wie mir Zielke erzählte, so entsetzt, daß sie wortlos den Vorführraum verließen, ihre Verbitterung war so groß, daß sie nicht nur beschlossen, jede Vorführung zu verbieten, sondern alle Kopien und sogar das Negativ sollten vernichtet werden. Grund ihrer Empörung: Dieser Film hatte nicht das Geringste mit ihrer Vorstellung zu tun. Sie wollten eine Einladung für die Zuschauer haben, gern und mit größtem Vergnügen Eisenbahn zu fahren. Für einen solchen Film hätte die Reichsbahn einen konservativen Regisseur verpflichten müssen, nicht aber Willy Zielke, der in seiner revolutionären Filmkunst dem damaligen Filmschaffen um Jahrzehnte voraus war. In Zielkes Film krachten die Waggons beim Rangieren so heftig aufeinander, daß es die Zuschauer aus den Sesseln riß. Ein Schock für die Reichsbahndirektion - schön sanft sollte das Eisenbahnfahren sein.
Zielke war todunglücklich. Mit Leidenschaft und Besessenheit hatte er ein Jahr an seinem Film gearbeitet, und nun sollte alles umsonst gewesen sein und sein Werk sogar vernichtet werden. Ich wollte versuchen, das zu verhindern und notfalls dafür zu kämpfen, als ob der Film mein eigener wäre. Zum Glück gelang es mir, vor der Vernichtung des Negativs, eine Kopie für mein Archiv zu erwerben.
Also mußte ich mich in die Höhle des Löwen wagen. Niemand außer Minister Goebbels, Chef der deutschen Filmindustrie, konnte das angekündigte Urteil verhindern. Ich hoffte, er würde bei seiner Intel ligenz den künstlerischen Wert von Zielkes Film erkennen und eine Vernichtung des Negativs verbieten. Von seinem Sekretär bekam ich den Termin für eine Vorführung.
Als ich mich abends im Prinz-Karl-Palais am Wilhelmsplatz, dem Amtssitz des Ministers, einfand, war ich befremdet, außer einer bekannten Theater- und Filmschauspielerin keine Gäste anzutreffen. Auch überraschte mich die Eleganz der Räume. Ich erinnerte mich, welchen Eindruck es mir gemacht hatte, als Goebbels, Gauleiter von Berlin, vor der Machtübernahme seinen Wählern emphatisch versprochen hatte, kein Minister solle nach der «Machtübernahme» mehr als tausend Mark im Monat verdienen. Welch eine Ironie! Goebbels, jetzt selbst Minister, scheute sich nicht, vor aller Öffentlichkeit das verschwenderische Leben seines Intimfeindes Göring nachzuahmen.
Goebbels war an diesem Abend bester Stimmung, ebenso auch seine Schauspielerin. An Getränken wurden Obstsaft und Sekt angeboten. Als wir den großen Raum betraten, in dem die Vorführung stattfinden sollte, nahmen wir auf einem breiten Sofa Platz. Etwas von mir entfernt die Schauspielerin, die sich ungeniert an die Schulter von Goebbels schmiegte.
Nachdem es dunkel geworden war und der Film anlief, redeten die beiden weiter, ohne auf die Leinwand zu schauen. Sie beachteten den Film kaum. Ich wurde unruhig. Es kam noch schlimmer. Die Schauspielerin machte abfällige Bemerkungen über den Film, kicherte an besonders interessanten Stellen und brach manchmal völlig unmotiviert in schallendes Gelächter aus. Auf Goebbels, den sie duzte und glatt «Jupp» nannte, wirkte das ansteckend. Ich war verzweifelt.
Als es wieder hell wurde, sagte der Minister: «So wie diese Dame reagiert hat, wird auch das Publikum den Film ablehnen. Ich gebe zu», fuhr er fort, «daß der Regisseur talentiert ist, aber für die Masse ist der Film unverständlich, zu modern und zu abstrakt, es könnte ein bolschewistischer Film sein, und das ist der Eisenbahn-Direktion nicht zumutbar.»
«Das ist aber noch kein Grund, den Film zu vernichten. Er ist ein Kunstwerk», antwortete ich erregt.
«Es tut mir leid, Fräulein Riefenstahl», sagte Goebbels, «aber die Entscheidung liegt allein bei der Reichsbahn, die den Film finanziert hat. Ich möchte mich da nicht einschalten.»
Damit war das Todesurteil über Zielkes Werk gesprochen.
Dahlem, Heydenstraße 30
S eit meiner Kindheit träumte ich von einem eigenen Haus. Nun dachte
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