Memoiren 1902 - 1945
Brüssel. Die Veranstalter begrüßten mich herzlich anscheinend wieder ein Fehlalarm. Als neueste Nachricht hieß es, voraussichtlich werde sogar der belgische König zur Premiere kommen. Da ich keine Erfahrung in der Etikette bei Hofe hatte, wurde mir schnell noch ein Hofknicks beigebracht.
Wenige Minuten vor Beginn der Festvorstellung, die im «Palais der schönen Künste» stattfand, erschien Leopold III. in Begleitung des Ministerpräsidenten Spaak und des deutschen Gesandten, Freiherrn von Richthofen. Ich machte vor dem König meinen tiefen Knicks. Als wir die Mittelloge betraten, wurde der König mit langanhaltendem Jubel begrüßt. Ich durfte zu seiner Linken Platz nehmen, zu seiner Rechten eine Gräfin, hinter uns Henri Spaak.
Nachdem der Jubel sich gelegt hatte und der Saal sich verdunkelte, überfielen mich wieder Zweifel, aber wie in Paris spürte ich auch hier, wie die Zuschauer mitgingen. Als Hitler zum ersten Mal erschien, brach überraschend Beifall aus, der sich bei jeder Aufnahme, die ihn zeigte, wiederholte. Es kam weder zu Protesten noch zu Störungen. Die unpolitische Gestaltung des Films besiegte alle Vorurteile. Mehr als zweitausend Zuschauer verfolgten «Olympia» mit Spannung. Am Schluß der Vorführung minutenlanger Applaus. Wie in Paris überbot sich die Presse. In einer der schönsten Kritiken stand:
... Das Dokument ist ein Triumph der Dichtung, ein Triumph einer sinnlichen
und reinen Lyrik. Es trägt diesen kostbaren Stempel einer vibrierenden Leiden
schaft, einer technischen Meisterschaft und eines unerschütterlichen Glaubens - das
ist das dreifache Geheimnis seiner traumhaften Größe. «Le Vingtieme»
Am nächsten Tag gab Ministerpräsident Spaak ein Sektfrühstück. Belgische Künstler, Diplomaten und bekannte Journalisten wurden mir vorgestellt. Die Bewunderung und Zuneigung, die ich von allen Seiten erfuhr, machten mich glücklich.
Nun folgte eine Tournee durch die skandinavischen Länder, auf der mich meine Mutter begleitete. Zuerst kamen wir nach Kopenhagen. Im «Old-Fellow-Palais» nahm das dänische Königspaar an der feierlichen Aufführung teil. Schon am Vormittag hatte mich Christian X. in Audienz empfangen. Über ein Stunde unterhielt sich der sympathisch und bescheiden wirkende Monarch mit mir, in der Hauptsache über meine zukünftigen Filmprojekte.
Wie in Berlin, Wien, Paris und Brüssel setzte sich der Siegeszug meines Films fort. Eine dänische Zeitung schrieb:
Es ist schwer, ein sachliches Referat zu schreiben, wenn man im Innersten von
dem ergriffen ist, was in dem Referat behandelt werden soll, und wir gestehen offen,
daß der Film über die Olympischen Spiele uns tief ergriffen hat - er ist ein Drama
von ganz großem Format, ein Film, der auf der Höhe der Kunst steht - ein Gedicht
in Bildern. «Berlingske Tidende»
So wiederholte sich das in der Presse bei den Premieren in Stockholm, Helsinki und Oslo. In Stockholm wurde ich von dem schwedischenKönig Gustav V. Adolf in Audienz empfangen; er war erstaunlich gut über den internationalen Film informiert. Bemerkenswert, was «Svenska Dagbladet» schrieb:
Es wäre bedauerlich, wenn der Geist der übernationalen Verbrüderung, den der
Olympia-Film repräsentiert, die Schranken der politischen Antipathien nicht bre
chen könnte.
Ein Jahr vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs geschrieben.
In Lund, Schwedens alter Universität, hielt ich einen Vortrag über meine Arbeit, von den Studenten stürmisch begrüßt. Bei der abendlichen Festtafel im großen Saal des Akademischen Vereins erwiesen sie mir eine besondere Ehre. Sie erhoben sich von den Sitzen und sangen das Deutschlandlied. Wenige Monate später erhielt ich den schwedischen «Polar-Preis».
Unvergeßlich werden mir die Tage in Finnland bleiben. Meine Mutter und ich waren dort Gäste des Bürgermeisters von Helsinki, Herrn von Frenckel, der sich die Zeit nahm, uns persönlich die landschaftlichen Schönheiten Finnlands zu zeigen. Welch ein herrliches Land!
Von allen meinen Auslandsreisen hatte ich in Finnlands Hauptstadt sicherlich das ungewöhnlichste Erlebnis. Am Tag der Festvorführung besuchte ich die finnischen Leichtathletik-Meisterschaften, die für die Finnen so etwas wie ein nationaler Feiertag sind. Zu meinem Tribünenplatz, von dem aus ich die Wettkämpfe verfolgte, kam nach kurzer Zeit einer der Sportfunktionäre und bat mich, ihm zu folgen. Er führte mich in das Innere des Stadions, nahm ein
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