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Memoiren 1902 - 1945

Memoiren 1902 - 1945

Titel: Memoiren 1902 - 1945 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leni Riefenstahl
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Verspätung, der Hüttenwirt vergaß wie bei der «Guglia» uns rechtzeitig zu wecken, stiegen wir in die Wand ein. Die ersten Seillängen gingen gut, aber bald spürte ich eine Ermüdung. Ich mußte viele Klimmzüge machen, die Arme waren aber nicht so kräftig wie meine Beine. Auch das Herausschlagen der vielen Haken, die ich mitschleppen mußte, strengte mich an. Es war notwendig, weil die Wand so hoch und schwierig war.
      Schon nach einem Viertel der Strecke glaubte ich nicht mehr weiterzukönnen. Meine Armmuskeln schmerzten, die Hände waren schon wund. Aber ein Zurück gab es nicht. So schwer hatte ich mir das nicht vorgestellt. Zum ersten Mal machte mir das Klettern keine Freude - ich hatte nur noch den Wunsch, nach oben zu kommen. Wir waren schon mehr als zehn Stunden in der Wand, die Sonne war längst untergegangen, und es dämmerte bereits. Doch den Gipfel konnte ich nicht sehen, nur die schwindelerregende Tiefe unter uns. Es wurde dunkler, wir konnten nur langsam weiterklettern. Hans hob seine Hand und zeigte mir drei Finger. Ich verstand: Nur noch drei Seillängen, die mußten wir noch schaffen. Aber es wurde so schnell finster, daß man kaum noch etwas sehen konnte.
      Erlöst war ich, als Hans zeigte, wir hätten nur noch eine Seillänge bis zum Gipfel. Er mußte aber feststellen, daß diese letzten zwanzig Meter zu schwierig waren, um sie in der Dunkelheit zu erklettern. Wir waren gezwungen, an dieser extrem exponierten Stelle zu biwakieren. Hans umwickelte mich mit einem Seil und befestigte es an einem Haken. So hing ich, wie in einer winzigen Hängematte, mit halbem Körper über dem tausend Meter tiefen Abgrund. Von dort sah ich ein schwaches Licht, das aus der Hütte kam. Wie gut hatten es doch alle da unten, dachte ich - ich beneidete jeden Hund. Das Schlimmste war die Kälte: Wir waren viel zu leicht angezogen. Für das Klettern in der Sonne war die leichte Kleidung von Vorteil, aber mit einem Biwak hatten wir nicht gerechnet. Es fehlte uns die eine Stunde, die wir zu spät geweckt wurden.
      Aber ein Schutzengel war um uns. Bevor die Sterne verblaßten, glaubte ich, Stimmen zu vernehmen. Dann hörten wir unsere Namen rufen. Auf dem Gipfel standen unsere Retter, Piaz, der bekannte Bergführer, mit Helfern und unserem Freund Xaver, der unseren Aufstieg mit dem Fernglas beobachtet und ihn verständigt hatte. Piaz hatte sich zufällig in der Vajolett-Hütte aufgehalten und schnell eine kleine Rettungsmannschaft zusammengerufen, die in wenigen Stunden auf dem von rückwärts leicht zu ersteigenden Berg den Gipfel erreichte.
      Nun ging alles sehr schnell. Es wurden Seile hinuntergeworfen, an denen wir uns anseilten und hochgezogen wurden. Dankbar umarmte ich meine Freunde.
      Zur Belohnung durfte ich am kommenden Tag bei unserer letzten Tour die Führung übernehmen. Es war der Aufstieg über die Delago-kante der Vajolett-Türme und zugleich mein Abschied von den Dolomiten.

    Premiere in Rom

    E he ich nach Berlin zurückkehrte, mußte ich noch einer Einladung nach Rom folgen. Im Beisein des Duce sollte der Olympiafilm aufgeführt werden.
      Im «Al Supercinema», dem Ort der festlichen Premiere, erwartete mich eine Überraschung. Der deutsche Botschafter, Herr von Mackensen, flüsterte mir ins Ohr, Mussolini könnte nicht kommen, er sei plötzlich nach München gerufen worden. Das klang beunruhigend. Als ich in den Dolomiten war, mußte der belgische König Leopold auch plötzlich abreisen, obwohl er sich mit Steger und mir zu Klettertouren verabredet hatte. Als Grund nannte er uns die durch die Sudetenkrise entstandene politische Lage. Er sprach von einer Teilmobilisierung Englands und Frankreichs, nachdem Hitler auf dem Reichsparteitag mit einer drohenden Rede die Welt erschreckt habe. Ich hatte das nur für eines der üblichen Gerüchte gehalten. Aber nun fürchtete ich, daß die plötzliche Abreise Mussolinis nach München etwas damit zu tun haben könnte.
      Ich war voller Unruhe und hatte keine Freude mehr an dieser Festaufführung, obgleich die Premiere glanzvoll verlief. Auch erhielt ich viele Einladungen und wäre leidenschaftlich gern einige Tage in Rom geblieben, einer Stadt, in der ich leben könnte und die ich liebe. So schwer es mir fiel, sagte ich alle Besuche ab und flog am nächsten Morgen über München nach Berlin.
      Es war der 19. September, der schicksalhafte Tag, an dem Chamberlain, Daladier, Mussolini und Hitler in München zusammenkamen, über die Abtretung

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