Memoiren 1902 - 1945
Amerika informiert werden.
In Paris erwartete mich der deutsche Botschafter, Graf Welczek; ich sollte, im Rahmen der deutsch-französischen kulturellen Zusammenarbeit, im «Centre-Marcellin Berthelot» einen Vortrag halten über das Thema: «Wie ich meine Filme mache.» Der mehr als 1000 Personen fassende Saal war bis auf den letzten Platz besetzt.
Abel Bonard, ein Schriftsteller der «Académie Française», stellte mich in einer Einführungsrede vor. Den Vortrag hielt ich in deutscher Sprache, er wurde von einer jungen Französin übersetzt. Nachdem ich meine Freude und meinen Dank für die Einladung zum Ausdruck gebracht hatte und in ein paar Worten erwähnte, wie alte Kulturen und geistige Gemeinsamkeiten Frankreich und Deutschland verbinden und wie sich in idealer Weise beide Nationen ergänzen könnten, kam ich auf mein Thema zu sprechen:
IST FILM KUNST?
«Ich bejahe diese Frage. Der Film ist eine Kunst wie andere Künste auch, aber
sie steckt noch in den Kinderschuhen. Er hat aber alle Voraussetzungen, ein ebenso
künstlerisches Erlebnis zu werden, wie es das Schaffen eines Rodin, eines Beetho
vens, Leonardo da Vinci oder Shakespeare vermitteln kann. Allerdings nicht der
Film, den wir heute kennen, sondern der Film, den es erst in der Zukunft geben
wird. Selbst die besten aller Filme, die wir bisher gesehen haben, lassen nur
ahnen, was der Film als Kunstwerk für Möglichkeiten hat.
Diese neue Kunst ist von den anderen Künsten unabhängig. Es wäre nicht
richtig zu sagen, die Filmkunst sei besonders verbunden mit der Malerei oder der
Musik, oder der Literatur - nein - sie berührt zwar diese Kunstarten, aber das Wort,
das die Filmkunst charakterisiert, ist ‹filmisch›. Unter ‹filmisch› verstehe ich vor
allem bewegte Bilder, was keine andere Kunstart zu bieten hat, nur der Film ist
bewegtes Bild. Er hat seine eigenen Gesetze. Bei einem künstlerischen Film muß
alles nach diesen Gesetzen geschaffen sein, das Thema, die Regie, die Darstellung,
die Fotografie, die Architektur, der Ton und der Schnitt. Ein absolut sicheres
Stilgefühl ist das Wichtigste, was ein Filmregisseur haben solle.
Eine weitere wichtige Voraussetzung für einen Filmregisseur ist, daß er ein
Gefühl für Dynamik, Aufbau und Rhythmus hat. Die Verteilung der Höhepunkte in
einem Film ist von großer Bedeutung - Spannung und Entspannung muß man im
richtigen Wechsel finden. Die Bildfolge kann durch den Bildschnitt hundertfach
verändert werden. Ist der Filmregisseur, der eigentlich auch immer der Cutter
seines Films sein sollte, ein musikalisch begabter Mensch, dann komponiert er mit
den Bildern und Tönen wie ein Musiker nach den Gesetzen des Kontrapunktes.
Der Cutter kann die Bilder im wilden Rhythmus tanzen oder in traumhafter
Langsamkeit vorbeiziehen lassen, er kann aus den Bildern eine Orgie sinnloser
Zufälligkeiten dichten und er kann mit denselben Bildern eine logisch klare
Handlung aufbauen.
Der Regisseur - Gestalter des Ganzen - müßte im Idealfall alles beherrschen. Ein
Gemälde kann nicht von vielen Händen gemalt, eine Sinfonie nicht von verschie
denen Musikern komponiert werden. Die Beherrschung aller Mittel ist erste Vor
aussetzung, um ein Kunstwerk zu schaffen, leidenschaftliche Visionen sind mehr
Trieb als Vernunft - ideal, wenn beides zueinander im Gleichgewicht ist. Der
schöpferische Prozeß, die Geburt kann chaotisch sein, die spätere Formung, die
Verwirklichung und Ausführung, bewußt.
Sind diese Vorbedingungen gegeben, dann ist es möglich, mit dieser jüngsten
aller Künste ebenso große Kunstwerke zu schaffen wie mit der Architektur, der
Musik, der Malerei.
Was unterscheidet Film von den anderen Künsten? Er ist in erster Linie beweg
tes Bild, das bedeutet, die Grundelemente sind Bild und Bewegung, und zwar
untrennbar miteinander verbunden, das heißt, der Film kann Kunst sein, wenn er
nur aus diesen beiden Elementen besteht. Weder Farbe noch Ton sind notwenig.
Damit will ich nicht sagen, daß Ton- oder Farbfilme nicht auch Kunstwerke sein
können, aber der stumme Schwarz-Weiß-Film ist der ‹Film an sich›, weil er aus
den filmischen Grundelementen, Bild und Bewegung, besteht. Der Tonfilm ist nur
eine Erweiterung dieser neuen Kunstform - eine schöne und wunderbare Bereiche
rung. Besteht der stumme Schwarz-Weiß-Film aus zwei Elementen, so der Ton
film aus drei. Infolgedessen ist es schon schwieriger, einen künstlerischen Tonfilm
als einen
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