Memoiren 1902 - 1945
Sellahütte, unserem Ausgangspunkt für die ersten Touren.
Am nächsten Morgen machten wir als Training die «Himmelsspitze». Durchtrainiert, wie ich jetzt war, wurde diese Kletterei für mich zu einem Spaziergang - und, wie immer, zu einem großen Genuß. Als ich auf dem Gipfel stand, glücklich und von Zukunftsträumen erfüllt, ahnte ich nicht, daß schon am nächsten Tag alles zerstört sein würde.
Als wir mittags zur Hütte zurückkehrten, empfing uns Paula Wiesinger, die Lebensgefährtin Stegers, ganz aufgeregt: «Leni, du mußt sofort zurück nach Berlin, dein Freund Hermann hat angerufen. Schrecklich - es gibt Krieg! Hermann befindet sich schon, genauso wie Guzzi und Otto und andere deiner Mitarbeiter, in einer Kaserne. Die Mobilmachung ist bereits in vollem Gange.» Wahnsinn, dachte ich, das kann nicht wahr sein. Eine Welt stürzte für mich ein.
Steger begleitete mich. Die Autobahn München-Berlin war so gut wie leer. Als wir tanken wollten, gab es kein Benzin mehr. Mit dem letzten Tropfen erreichten wir unser Ziel. Erschöpft kamen wir in Dahlem an.
Ich erfuhr, daß meine Mitarbeiter von der Mobilmachung erfaßt waren. Jeden Augenblick erwartete man die offizielle Kriegserklärung. Sofort fuhr ich zu meinen Leuten und traf sie alle in einer Kaserne, an deren Namen ich mich nicht mehr erinnern kann. Sie bestürmten mich, eine Wochenschaukompanie zusammenzustellen. Lieber wollten sie als Kameraleute an die Front gehen.
Ich verstand sie, aber von wem sollte ich so schnell die Genehmigung dazu erhalten. Ich versuchte, mich in der Reichskanzlei zu erkundigen, und hatte auch Glück, durch die Wachmannschaften hindurchzukommen. Dort traf ich einen Oberst und trug ihm mein Anliegen vor.
«Wenn Sie sich beeilen», sagte er, «können Sie im Reichstag den Führer hören, der eine Erklärung über den möglichen Krieg abgeben wird.» Er schrieb einen Zettel aus, mit dem ich die Krolloper betreten durfte.
Als ich den dichtbesetzten Raum betrat, hörte ich nur noch von weitem Hitlers Stimme: «Seit 5.45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen!»
IM KRIEG
Krieg in Polen
K rieg - ein entsetzlicher, ein unfaßbarer Gedanke. Hitlers Kriegserklärung an Polen war mir unbegreiflich. Er hatte doch erst vor wenigen Tagen, als Speer mit ihm über die Neugestaltung Berlins sprach, gesagt: «Gott gebe, daß ich das noch erleben darf und nicht gezwungen werde, einen Krieg zu führen.»
Hitler hatte früher einmal bei einem Tischgespräch sich sehr anerkennend über den polnischen Regierungschef Marschall Pilsudski geäußert. Sinngemäß hatte er gesagt, solange der Marschall regiert, könnte jedes Problem zwischen Polen und Deutschland in Freundschaft gelöst werden. Aber inzwischen war Pilsudski tot.
Damals war ich überzeugt, nur schwerwiegende Gründe könnten Hitler den Entschluß zu diesem Krieg abgerungen haben. Rundfunk und Presse hatten immer wieder berichtet, Hitler wolle lediglich eine Landverbindung nach Ostpreußen und Danzig in das Deutsche Reich wiedereingliedern. Aber die wiederholten Bemühungen der deutschen Regierung, Polen dazu zu bringen, blieben erfolglos. So jedenfalls wurde die Öffentlichkeit informiert. Hitler soll überzeugt gewesen sein, England würde trotz der den Polen zugesagten Garantie neutral bleiben, und deshalb riskierte er wohl den Krieg. Er glaubte, ihn in kurzer Zeit beenden zu können.
Ich überlegte, wie ich mich in einem Krieg nützlich machen könnte. Zuerst dachte ich, mich als Krankenschwester ausbilden zu lassen. Einige meiner Mitarbeiter bedrängten mich weiterhin, eine Filmgruppe zu organisieren, für die Kriegsberichterstattung an der Front.
Ich bemühte mich, diesen Vorschlag zu verwirklichen. Nachdem ich noch keinen Bescheid von der Wehrmacht erhalten hatte, beschloß ich, etwas Konkretes vorzulegen. Wir stellten gemeinsam eine Liste von Mitarbeitern auf, die dafür geeignet waren, darunter Allgeier, Guzzi und Otto Lantschner, Traut und als Tonmeister Hermann Storr, und machten einen kurzen Bericht über unser Vorhaben. Damit fuhr ich abermals zur Reichskanzlei, in der Hoffnung, dort einem von Hitlers Verbindungsoffizieren zur Wehrmacht die Liste und den Bericht übergeben zu können. Ich mußte lange warten, doch dann konnte ich meinen Plan einem höheren Wehrmachtsoffizier vortragen. Er versprach, die Unterlagen seiner vorgesetzten Dienststelle vorzulegen. Schon nach 14 Stunden erhielt ich telefonisch die Nachricht, der
Weitere Kostenlose Bücher