Memoiren 1902 - 1945
verzeichnet sind, die am Montblanc und seinen Gletschern geschehen waren. Und ich fühlte etwas wie Dank aufsteigen, daß uns ein glücklicher Stern davor bewahrt hatte, diese traurige alpine Chronik auch nur um einen einzigen Fall vermehrt zu haben.
Der Landstreicher vom Montblanc
W ährend wir noch die letzten Aufnahmen machten, erschienen in einer Berliner Illustrierten die ersten Fotos von unserer Arbeit im Gebiet des Montblanc. Und ein Berliner Primaner, der sich diese Bilder ansah, wurde von einer großen Sehnsucht ergriffen, dies alles auch mit uns zu erleben. Er rannte von der Schule weg, schwang sich aufs Fahrrad, hatte nur zwölf Mark in der Tasche und kam ohne einen Pfennig auf der Dupuishütte an. Wir waren aber längst weitergezogen. Und der arme Junge, der neun Tage von Berlin nach Chamonix geradelt war, der mutterseelenallein über die Gletscherspaltenhinwegwanderte, so daß seine Schuhe kaum noch Sohlen hatten, fand in der Dupuishütte, auf der er uns vermutet hatte, nur noch Reste von Proviant und Filmmaterial. Auf dem Gletscher sah er die vereisten Spuren von Udets Landung. Zwei Tage blieb er auf der Hütte. Dann kehrte er halb verhungert nach Chamonix zurück, wo man ihm sagte, wir arbeiteten jetzt auf der anderen Seite des Montblanc.
Er fand uns auf der Grand-Mulet-Hütte, setzte sich still in eine Ecke sprach kaum mit uns und beobachtete uns nur. Er sah wie ein Landstreicher aus, und wir wußten nicht, was wir mit ihm anfangen sollten. Fanck schenkte ihm ein paar Schuhe; seine Sohlen waren mit Bindfäden festgebunden. Am nächsten Tag durfte der Junge Gepäck tragen und verdiente sich etliche Franken Trägerlohn. Die Aufnahmen waren beendet, der Landstreicher vom Montblanc setzte sich wieder aufs Rad und fuhr nach Berlin zurück.
Ein halbes Jahr später meldete mir mein Mädchen, ein junger Mann stehe vor der Tür, der sich der Landstreicher vorn Montblanc nenne und mich sprechen möchte. Ich konnte mich nicht erinnern, wer das sein könnte. Dann stand ich einem gut angezogenen jungen Mann gegenüber, der mit dem Abenteurer vom Montblanc keine Ähnlichkeit hatte. Er übergab mir ein Manuskript über seine Erlebnisse am Montblanc und verschwand wieder.
Erst beim Durchlesen der Blätter erfuhr ich, welche ungeheure Begeisterung ihn bewegt hatte, diese abenteuerliche Fahrt gegen den Willen seiner Eltern zu riskieren. Sein Text war fesselnd, und mir gefiel, daß er uns nicht gerade schmeichelhaft beschrieben hatte.
Der Junge war begabt. Ich übertrug ihm die Erledigung der Autogrammpost, die er so gut ausführte, daß er allmählich zu meinem Sekretär wurde. Die erste Schreibhilfe, die ich hatte. Schon ein Jahr später, beim «Blauen Licht», konnte ich ihn bei Schneeberger als Kamera-Assistenten ausbilden lassen. Er war in der Tat talentiert und hat eine gute Karriere gemacht, nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA, wo er heute noch ein anerkannter Kameramann ist.
Der Tonfilm kommt
D er Tonfilm kam. Er bedeutete eine Revolution. Auch «Stürme über dem Montblanc» war schon als Tonfilm konzipiert, aber noch wurde der Ton synchronisiert. Bei schwierigen Bergaufnahmen war es 1930 technisch noch nicht möglich, mit den ersten, schweren Tonkameras zu arbeiten. Diese neue Technik erforderte eine völlige Um stellung der Produktion. Drehbücher, Inszenierungen entstanden nach anderen Methoden, und vor allem mußten die Schauspieler nach neuen Gesichtspunkten ausgewählt werden. Für einige der internationalen Stars war dies das Ende ihrer Karriere, da ihre Stimme sich nicht für Tonwiedergabe eignete. Viele Filmschauspieler bangten um ihre Existenz, und viele gute Bühnendarsteller konnten nicht so ungezwungen sprechen, da die Bühnensprache sich von der im Film beträchtlich unterscheidet. Es gab Ausnahmen. So hatte Hans Albers mit seinem ersten Tonfilm, der noch vor dem «Blauen Engel» hergestellt wurde, einen großen Erfolg. Ihm gelang auf Anhieb, was manche seiner Kollegen nie erlernten: vor der Kamera natürlich zu sprechen.
Nach meiner Rückkehr vom Montblanc suchte ich mir sofort einen guten Lehrer für die Ausbildung der Stimme. Kollegen empfahlen mir Herrn Kuchenbuch, einen hageren Mann mit vogelartig geschnittenem Gesicht, ein hervorragender Lehrer. Es machte mir großen Spaß, mit ihm zu arbeiten. Täglich nahm ich eine Stunde Unterricht, bei der ich vor allem viele Atemübungen machen mußte. Probleme machte mir das rollende «R». Ich übte und
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