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Memoiren 1902 - 1945

Memoiren 1902 - 1945

Titel: Memoiren 1902 - 1945 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leni Riefenstahl
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zertrümmert. Weiter führte unser Weg durch die schweigende Einsamkeit. Nach langem anstrengenden Aufstieg schmeckten das Abendbrot und der Grog besonders gut.
      Die Hütte war so primitiv, wie ich es bisher noch nicht erlebt hatte. An Schlaf war in der ersten Nacht nicht zu denken. Wir lagen auf harten Strohsäcken, in schmutzige Decken eingehüllt. Es war kalt, und wer sich Romantik erwartet hatte, war tief enttäuscht. Hier einige Notizen aus meinem Tagebuch:
    1. Tag. Auf der Dupuishütte. Wetter neblig - schlecht - keine Aussicht. Wir verbringen den Tag faul auf den Pritschen. Einige von uns spielen Karten - ich finde einen Schachspieler und schlage mit Spiel den halben Tag tot. Weil wir uns langweilen, werden wir nervös.
      2. Tag. Habe heute nacht ein paar Stunden geschlafen. Aber die Glieder sind steif geworden. Das Wetter ist wie gestern, wir alle sind ziemlich deprimiert. Es ist gräßlich, immer Nebel vor sich zu haben. Dabei muß Udet in zwei Tagen nach Berlin. Was soll werden, wenn wir seine Landung auf dem Gletscher für unseren Film nicht bekommen?
    3. Tag. Wir dösen seit dem frühen Morgen - das Wetter scheint
    sich etwas zu bessern. Im Nebel erscheinen wenigstens Umrisse. Da hören wir Propellergeräusch - das kann nur Udet sein. Alle laufen vor die Hütte, das Surren kommt näher und verschwindet wieder. Schneefall setzt ein - auch der Wind wird stärker, und wieder geistert Nebel vorbei. Wir sehen kaum fünfzehn Meter weit. Was will Udet eigentlich? Landen kann er bei diesem Wetter doch nicht - plötzlich ein Windstoß, der aus dem Tal emporbläst, und für Sekunden liegt die ganze Wolkenmasse über uns. Da ist ja ein Flugzeug - mitten im Grau fliegt es.
      Wir schreien, wir winken und wir erkennen, daß es nicht Udet ist, sondern die zweite Maschine, die von Klaus von Suchotzky gesteuert wird. Die Maschine sackt ab, wird aufgefangen und kreist dann über unserem Hüttendach, die beiden winken, und jetzt fällt ein Paket und dann noch eines - ist das eine Freude, sie bringen uns Proviant. Und dann kommt noch etwas heruntergeflattert, ein kleiner Nelkenstrauß. Was für eine Überraschung! Aus zweitausend Meter werfen sie mir Nelken zu. Dann verschwindet das Flugzeug wieder im Nebel.
    4. Tag. Seit fünf Uhr sind wir auf den Beinen, der erste schöne Tag. Die Wolken liegen wie ein brodelndes Meer unter uns. Der Gletscher ist frei und strahlt im Glanz der Sonne. Wir gehen zum vorgesehenen Landungsplatz und treten den Schnee fest.
      Die Wolken beginnen langsam zu steigen. Wenn Udet nicht bald kommt, wird es zu spät für die Aufnahmen. Die Sonne zieht Wasser, und das ist immer verdächtig. Vier Stunden warten wir nun schon. Da - um neun Uhr - hören wir Propellergeräusch. Fünfzehn Augenpaare suchen den Himmel ab, ohne etwas zu sichten. Aber dann taucht in der Ferne über den Wolken ein schwarzer Punkt auf. Das ist er - das muß er sein. Sepp Allgeier klettert schnell auf einen Schneegipfel, auch Kameramann Angst baut seinen Apparat auf. Und wir anderen werfen uns auf den Schnee, um nicht mit ins Bild zu kommen. Die Kameraleute visieren. Jetzt nur keine Aufregung, keine Ungeschicklichkeit. Diese einmalige Gelegenheit verpassen, hieße einen unersetzlichen Verlust verschulden.
      Dann schwirren die beiden Maschinen über uns. Und alles weitere geht blitzschnell. Udets Maschine scheint durchzufallen, so überraschend senkt sie sich und setzt auf dem Gletscher auf. Und die Kameraleute drehen und drehen. Zum ersten Mal ist eine Landung auf dem Gletscher gefilmt worden. Fünf Minuten später sind wir wieder mitten im Nebel. Die Wolken haben uns erreicht und ziehen über uns weg, als würde ein Vorhang vorgezogen. In letzter Sekunde erfolgte eine Landung. Aber wie wird Udet wieder wegkommen? Er muß durch den Nebel starten, fort vom Gletscher. Das Grau wird immer dichter. Es wird schwarz. Da entschließt sich Udet, es darauf ankommen zu lassen, denn er kann nicht bis zur Nacht warten. Er wirft den Propeller an und läßt die Maschine hineingleiten in die suppige, undurchsichtige Luft. Wir hören, wie sich das Geräusch entfernt und dann ganz aufhört. Udet ist fort - wird er ankommen? Wird er den Weg zwischen den vielen Felsspitzen finden? - Soweit meine Eintragungen.
      Und er fand ihn. Wir erfuhren es erst nach Tagen, als wir wieder in Chamonix eintrafen. Er war ohne Schaden in Lausanne gelandet.
      Nun begann der Aufstieg auf den Montblanc. Ihn zu besteigen, ist heute keine große Sache

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