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Memoiren 1902 - 1945

Memoiren 1902 - 1945

Titel: Memoiren 1902 - 1945 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leni Riefenstahl
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himmelangst. Ich wagte nicht die geringste Bewegung, in jedem Augenblick konnte die Brücke unter mir nachgeben. Beni warf sich auf den Bauch, reichte mir seine Skistöcke und zog mich langsam über die Brücke.
    «Da haben wir aber Sau gehabt», waren die einzigen Worte, die er
    in seinem Schreck herausbrachte.
      Nach zwei Tagen ging es wieder hinauf. Vor allem im Bossongletscher waren noch Lawinenaufnahmen zu machen. Der Gletscher war um diese Zeit so ausgeapert, daß wir beim Aufstieg bis zur Hütte acht Leitern legen mußten, um über die Spalten hinwegzukommen. Allmählich wurden wir stumpf gegen die unaufhörlichen Gefahren, in denen wir uns befanden. Wir hatten nur den einzigen Wunsch so schnell als möglich aus der Gletscherwelt herauszukommen.
      Der Monat der Lawinen war gekommen. Sepp Rist mußte in seiner Rolle als Wetterwart auf Skiern ohne Stöcke abfahren; nach dem Manuskript waren ihm die Hände erfroren. Es bedurfte größter Geistesgegenwart, vor den Spalten so abzuschwingen, daß er durch den Schwung nicht herausgetragen wurde. Während wir eine solche Szene mit Rist drehten, sahen wir, wie sich im Hintergrund eine riesige Eiswächte von der Felsunterlage ablöste und mit einer unvorstellbaren Wucht über die Felsen auf unseren Gletscher stürzte. Die Kameraleute arbeiteten mit eiserner Ruhe weiter. Sie drehten, wie die Lawine hinter Rists Rücken angebraust kommt und er vor ihr flieht. Für uns war es zu spät zu fliehen. Gewaltige Eismassen wälzten sich über den Gletscher auf uns zu, wir konnten nur hoffen, daß die Lawine noch vor uns zum Stehen kommt.
      Immer dichter wurden wir von Schneestaub eingehüllt. Keiner wagte zu sprechen. Erst nach Minuten der Stille löste sich der Bann. Es dauerte fast eine Viertelstunde, bis der Schneestaub sich setzte und wir wieder einigermaßen freie Sicht hatten. An diesem Tag hörten wir mit der Arbeit auf. Jeder von uns hatte von Schneeabenteuern genug.
      Fanck hatte eine mächtige Eiswächte entdeckt. Sie hatte sich schon nach vorn geneigt, jeden Augenblick konnte sie abbrechen. Noch nie war so etwas gefilmt worden. Kleinere Wächten konnte man sprengen, aber nicht eine von solcher Größe. Er gab Schneeberger den Auftrag, solange an seiner Kamera zu bleiben, bis die Wächte abbrach. Stundenlang rührte er sich nicht vom Fleck, dann mußte er aber doch einen Augenblick von der Kamera weg - Notwendigkeiten, stärker als der Wille. Und gerade in diesem Augenblick brach die Lawine los. Erschrocken jagte Schneeberger aus dem Häuschen heraus, stürzte zur Kamera - aber er konnte das Geschehene nicht zurückdrehen! Die Geburtsstunde der Lawine hatte er verpaßt. In unsere Heiterkeit mochte er nicht einstimmen. Er war wütend.
      Meine letzte Aufnahme im Montblanc-Eis war gekommen. Ich sollte auf einer Leiter eine fünfzehn Meter breite Gletscherspalte überschreiten. Der Regisseur hatte wegen der Bildwirkung eine von
großer Tiefe ausgesucht. Vor dieser Aufnahme hatte ich Angst, ich wollte kneifen. Meine Kameraden hatten bereits Wetten abgeschlossen, daß ich nicht über die Leiter gehen würde. Mit so einer Wette war ich meist zu fangen. Sie kannten meine Schwäche, nicht feige zu erscheinen. Schon auf dem Weg zur Spalte stellte ich mir vor, wie einfach es doch sein müßte, über so eine Leiter zu laufen. Was kann mir da schon passieren, fragte ich mich, ich bin ja angeseilt und kann darum nie weit hinunterstürzen. Aber dieses kleine Wort «weit» besagt alles. Ich konnte noch immer zehn bis fünfzehn Meter fallen und mir dabei an den Eiswänden den Schädel einschlagen. Diesen scheußlichen Gedanken versuchte ich zu verdrängen, und ich suggerierte mir, ich werde nicht fallen, wenn ich nicht hinunterschaue.
      Es war soweit. Bei dem Ruf: «Achtung, Aufnahme!» ging ich, ohne auf mein Herzklopfen zu achten, sofort los. Ich spürte, wie die Leiter unter meinen Füßen zu wippen begann. Damit hatte ich nicht gerechnet. Das Schwanken wurde immer stärker, je mehr ich zur Mitte kam. Zu allem anderen verlangte die Szene von mir noch, daß ich mich während des Hinübergehens umwende, um den mir Nachfolgenden etwas zuzurufen. Ich nahm meinen ganzen Willen zusammen, um mich nicht vor Angst einfach auf die Leiter fallen zu lassen. Aber es gelang mir, und so bekam Fanck doch noch die letzte Aufnahme, wie er sie von mir wollte.
      Am Abend durchblätterte ich das Hüttenbuch. Ich hatte bisher nicht hineingeschaut, weil darin die schrecklichen Unfälle

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