Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Memoiren 1902 - 1945

Memoiren 1902 - 1945

Titel: Memoiren 1902 - 1945 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leni Riefenstahl
Vom Netzwerk:
Menschen wie Fische im Wasser bewegten.
      Sehr angenehm empfanden wir, daß Knud Rasmussen, zu dem die Eskimos wie zu ihrem König aufsahen, eintraf, um uns bei den Aufnahmen mit den Eskimos zu helfen. Er beherrschte ihre Sprache, da seine Mutter Grönländerin war. Mit ihm übersiedelten wir in die kleine Eskimosiedlung Nugatsiak, wo ein Begrüßungsfest für uns veranstaltet wurde. Hier lernten wir die so heiter lächelnden Eskimos von ihrer wahren Seite kennen. Sie waren große Kinder, die über alles Fremde, das ihnen entgegentrat, in schrankenlose Bewunderung ausbrachen. Sie waren gutwillig, sorglos - aufopferungsbereit-, aber um keinen Preis der Welt, auch nicht um den von zwanzig Walfischen, würden sie mit ihren Kajaks an einem Eisberg vorbeifahren. Mutete man ihnen das zu, dann sagten sie: «Aijapok, aijapok» (sehr, sehr schlecht). Und selbst Rasmussen, ihr Abgott und Landsmann, konnte sie nicht dazu bringen. Sie wußten auch warum. Aber Fanck hatte unglücklicherweise in seinem Drehbuch alle Spielszenen auf Eisberge und Schollen verlegt. Er selbst litt unter den möglichen Gefahren, und wir alle wußten nur zu gut, daß jeden Tag ein Unglück geschehen konnte. Trotzdem wollte Fanck versuchen, die Szenen auf dem Eisberg zu drehen, unser Film hätte sonst abgebrochen werden müssen. Tag für Tag suchte er mit dem Fernglas nach einem möglichst stabilen Eisberg, der nach einer Seite flach zum Meer abfiel, so daß wir ihn aus den Booten besteigen konnten. Endlich fand er einen, der geeignet war. Nur die wichtigsten Leute nahmen an dieser Fahrt teil, dazu die Eisbären, die für diese Aufnahmen gebraucht wurden. Auch ich mußte mitkommen, meine ersten Szenen sollten gedreht werden.
      Wir steuerten auf den Eisberg zu, einen Riesen von mindestens achtzig Meter Höhe. Als wir dicht heran waren, sahen wir, daß die ins Meer fallende Wand noch immer fünf bis sechs Meter hoch war. Zu hoch, um die zentnerschweren Käfige mit den Eisbären hinaufziehen zu können. Ertl und Zogg konnten Stufen und Sicherungshaken in die Eiswand schlagen und die Apparate hinaufziehen. Ich kletterte mit der ersten Gruppe die Eiswand hinauf. Erst oben auf dem Berg gewann ich einen Überblick über Größe und Höhe dieses ungeheuren Eisklotzes der seine stille Bahn durch das Polarmeer zog. Um auf die höchste Stelle zu kommen, hatte ich eine halbe Stunde zu gehen. Mit einigen unserer Leute stand ich ungefähr fünfzehn Meter von der Eiskante entfernt, als ein leichtes Beben und dumpfes Dröhnen in dem Koloß zu spüren war. Ehe ich zur Kante laufen konnte, bebte es zum zweiten Mal: Entsetzt sah ich, wie sich vor mir ein breites Stück Eis spaltete und vier unserer Männer, die darauf standen, ins Meer stürzten. Ein ohrenbetäubendes Krachen und Getöse erfüllte die Luft, in das sich Schreie und Hilferufe mischten. Wir erstarrten. Riesige Wassersäulen stiegen senkrecht in die Höhe. In Todesangst krochen wir bis zu dem Rand der Abbruchstelle und sahen unser Boot inmitten von Eismassen schwanken und schaukeln, gleich einer Nußschale zwischen den Eisblöcken hin- und hergeworfen. Verzweifelt kämpften unsere Leute um ihr Leben - einige von ihnen konnten nicht schwimmen. Man warf ihnen vom Boot aus Seile zu. Hilflos sah ich, wie Hans Ertl, David Zogg, Richard Angst und Schneeberger unter den Eisblöcken verschwanden, dann wieder auftauchten, und wie sie sich an den Eisklötzen festzuklammern suchten. Als erster konnte Hans mit einer langen Stange gerettet werden, die ihm vom Boot aus zugereicht wurde, dann auch die anderen, die Nichtschwimmer.
      Inzwischen war ein Boot ganz nahe an die Abbruchstelle herangefahren, und in größter Eile wurden wir mit Leitern und Seilen hinuntergebracht. Jeden Augenblick konnten weitere Eismassen abbrechen. Wir atmeten auf, als wir aus der Gefahrenzone heraus waren. Zum Glück hatten wir die Kameras und die Eisbären nicht schon auf den Eisberg gebracht.
      Tagelang saß uns der Schreck in den Gliedern. Keiner hatte mehr Lust, für einen Film sein Leben aufs Spiel zu setzen. Noch war kein Meter der Eisbergszenen gedreht, und schon ging der Polarsommer zu Ende. Es wurde kühler, die Nächte länger, und Dämmerung legte sich über Land und Meer. Unsere Stimmung hatte den Nullpunkt erreicht.

    Dr. Sorge

    V or neun Tagen war Dr. Sorge in den Fjord gefahren, um die Kalbungen der Rinksgletscher zu vermessen. Für die Forschung war es wichtig zu erfahren, mit welcher Geschwindigkeit sich Gletscher

Weitere Kostenlose Bücher