Memoiren 1902 - 1945
besorgter. Er begann einzusehen, daß er die Gefahren dieser Filmarbeit unterschätzt hatte, und daß bei jeder Szene das Leben seiner Leute gefährdet war.
Eines Morgens rief uns Dr. Fanck alle zusammen und erklärte, er habe sich nach Rücksprache mit unseren Wissenschaftlern entschlossen, die Operationsbasis weiter hinein in die Fjorde Grönlands zu verlegen. Die Eisberge, die dort erst frisch vom Gletscher abgebrochen waren, seien stabiler und härter als die im offenen Meer. Er hoffte, dort einen gestrandeten Eisberg zu finden, der seinem Wandertrieb nicht so nachgeben konnte wie die hier draußen.
Wir hatten nur zwei kleine Motorboote. So konnten wir das ganze Lager nicht abbauen. Proviant und Zelte sollten in Umanak bleiben und nur nach Bedarf zum Arbeitslager am inneren Fjord geholt werden.
Zwölf Leute begleiteten Fanck, die anderen blieben im Lager in Umanak. Bei diesem Fanckfilm war ich übrigens, wie sonst fast immer, nicht das einzige weibliche Wesen, sondern es gab unter den 37 Mitgliedern unserer Expedition neun weibliche Teilnehmer.
Die Wissenschaftler hatten ihre Ehefrauen mitgenommen, Udet seine rassige rothaarige Freundin mit dem Spitznamen Laus; unser Regisseur seine Sekretärin Lisa, die später seine Frau wurde. Außerdem war da noch eine zierliche Amerikanerin, die Gattin des amerikanischen Regisseurs Marton, der neben unserem Film ein Lustspiel mit Guzzi Lantschner und Walter Riml des Titels «Nordpol Ahoi» drehte.
Da ich für Filmaufnahmen zunächst noch nicht gebraucht wurde, genoß ich meine Freiheit und auch die mich umgebende arktische Landschaft in vollen Zügen. Die Luft war seidenweich und so warm, daß man im Badeanzug herumlaufen konnte, aber es brach eine schreckliche Mückenplage aus. Um den Moskitos zu entgehen, machte ich mein Faltboot fertig, paddelte im Badeanzug hinaus aufs Meer und ließ mich treiben, Stunde um Stunde, halbe Tage lang. Ich glitt durch Eistore hindurch, an glitzernden, haushohen Eisbergen vorbei, durch schimmernde Grotten, deren Wände sich bis ins Meer hinab grün, rosa, blau und violett spiegelten. Einige Male traf ich Eskimos in ihren wendigen Kajaks, sie kamen von der Jagd - ihr Gruß war ein Lächeln.
Eines Tages nahm ich mir, von niemandem bemerkt, eine Gummimatratze aus meinem Zelt ins Paddelboot und suchte mir einen Eisberg mit flachem Fuß, auf den ich leicht hinaufsteigen konnte. Es war der erste Eisberg, den ich betrat. Aus dem Schmelzwasser hatte sich ein kleiner See gebildet, der wie ein Smaragd im Eis lag. Auf dem Eisberg herrschte Gletscherhitze, so daß ich in dem kleinen See ein erfrischendes Bad nahm. Dann legte ich mich auf meine Matratze und ließ mich von der Sonne bestrahlen. So befreit und sorgenlos hatte ich mich selten gefühlt, während der Eisberg langsam durch den Fjord zog.
Mit einem Male riß mich ohrenbetäubendes Krachen aus meinen Träumereien - mein Berg geriet ins Wanken, der See spülte über mich hinweg, ich rutschte auf dem Bauch den Hang hinunter und klammerte mich an mein Paddelboot, das ich nicht verlieren durfte. Zum Glück drehte sich mein Berg nicht ganz rundrum, er fing nur an zu pendeln, hin- und herzuschwanken. Allmählich beruhigte er sich, jetzt erst konnte ich sehen, was geschehen war. Nicht mein Berg hatte gekalbt, sondern ein Nachbarberg war auseinandergebrochen. Er wälzte sich wie ein riesiges Untier im Wasser, ständig brachen von ihm neue Eisstücke ab, die große Wellen verursachten und meinen kleinen Eisberg nicht zur Ruhe kommen ließen. Ich verließ meinen gefährlichen Platz. Es war das erste und das letzte Mal, daß ich zu meinem Privatvergnügen einen Eisberg betreten habe. Meinem Regisseur erzählte ich von diesem Abenteuer natürlich nichts.
Obgleich ich mir nach der Trennung von Hans Schneeberger geschworen hatte, mich nie mehr zu verlieben, erwischte es mich doch von neuem. Es waren ein paar grüne Katzenaugen, die mich schon seit einigen Tagen irritiert hatten - sie gehörten unserem Expeditionsmitglied Hans Ertl. Fanck hatte ihn neben dem Schweizer Bergführer David Zogg als Spezialisten für das Schlagen von Eisstufen, die zum Besteigen der Eisberge notwendig waren, mitgenommen. Ohne Zweifel war er von sämtlichen männlichen Mitgliedern der Expedition der Attraktivste. Im Wesen temperamentvoll und begeisterungsfähig, konnte er mit seiner Erzählungsgabe die Zuhörer stundenlang
fesseln.
Als ich wieder einmal allein mit meinem Faltboot
Weitere Kostenlose Bücher