Memoiren 1945 - 1987
Piste einher. Einige Male mußten wir stehenbleiben und zurückfahren, damit die Tiere ungestört an uns vorbeiziehen konnten. Plötzlich wurden wir hochgeschleudert, der Fahrer hatte den Wagen ruckartig gestoppt. Vor uns, im Licht der Scheinwerfer, lag eine fast weiß aussehende riesige Pythonschlange, mehrere Meter lang und dick wie ein Baumstamm. Beklommen beobachtete ich, wie die Schlange sich ganz langsam vorwärtsbewegte. Es dauerte eine Ewigkeit, bis sie im Gebüsch verschwunden war.
Inzwischen wurden meine Neger unruhig. Sie bekamen Angst, sie würden entführt, und außerdem waren sie hungrig. Ich spürte so etwas wie eine Rebellion heraufziehen. Sie fuchtelten mit den Armen und schrien laut durcheinander. Die Situation wurde kritisch. Da kam mir ein rettender Gedanke. Durch energische Gesten versuchte ich mir Ruhe zu verschaffen und rief in Kisuaheli: «Singen!»
Coca fing an, dann fiel einer nach dem anderen zögernd ein. Tatsächlich vergaßen sie beim Singen Angst und Hunger. Sie sangen, bis wir um zwei Uhr nachts den Meeresarm erreichten, der uns von der Halbinsel Lamu trennte.
Wir weckten den Bootsmann, der uns zu unserem Camping
Platz bringen sollte. In dem Boot überfiel die Schwarzen noch einmal Todesangst. Einige von ihnen wußten, daß man ihre Brüder und Freunde am Ende einer ungewissen Reise über das Wasser zu den Schiffen brachte, mit denen man sie in fremde Länder verfrachtete. Warum sollten sie uns nicht auch für Sklavenhändler halten? Nur mühsam konnten Coca und ich sie beruhigen.
Endlich, um vier Uhr morgens, erreichten wir unser Lager. Nun konnten meine schwarzen «Schauspieler» gut versorgt werden. Bald schliefen sie alle, in Wolldecken gewickelt, erschöpft, aber zufrieden ein.
Auch ich fiel in tiefen Schlaf.
Unter dem Äquator
A m nächsten Morgen, während des Frühstücks, bemerkte ich, daß meine Leute bedrückt waren, aber keiner sagte mir, warum. Ich hatte angenommen, alle wären sehr froh, daß wir nun endlich die Besetzung für unsere «Sklaven» hatten, aber kaum einer sprach ein Wort.
Als ich in mein Zelt ging, folgte mir Six. Er teilte mir mit, daß während meiner Abwesenheit am Suez-Kanal ein Krieg ausgebrochen sei; Engländer und Franzosen kämpften gegen Ägypten. Der Kanal war für die Schiffahrt gesperrt. Unser Schiff, auf dem sich unsere filmtechnische Ausrüstung befand, mußte nun den gewaltigen Umweg von einigen tausend Seemeilen über Südafrika machen. Wir würden unsere Arbeitsgeräte erst nach Wochen erhalten.
Als ich dies hörte, wurde mir schwindlig. Das bedeutete das Ende unseres Films. Durch die großen Zeitverluste, die durch die Unfälle der Safariautos entstanden waren, und die wochenlange Bauzeit des Hausbootes hatten wir längst unseren Kostenvoranschlag überschritten. Weitere finanzielle Mittel standen nicht zur Verfügung.
«Verzweifeln Sie nicht, Mrs. Leni», sagte Six, «ich habe mit Stan eine Lösung gefunden. Wir dürfen nicht abbrechen, sonst verlieren wir alles. Was passiert ist, war höhere Gewalt. Unsere Gesellschaft ist bereit, die große Safari um fünf Wochen zu verlängern, ohne sie dadurch finanziell zu belasten. Für die Lawrence-Brown Safaris ist dies ein großes Opfer, aber wenn wir dazu nicht bereit sind, verlie
ren wir mehr.»
Ich saß immer noch regungslos auf meinem Feldbett. Das Entgegenkommen der Safari-Gesellschaft war zweifellos eine enorme Hilfe, aber der Zeitverlust verursachte andere Komplikationen, für die ich keine Lösung wußte.
«Die Regenzeit», sagte Six, «die bald beginnen wird, zwingt uns, sobald als möglich hier abzubrechen und nach Uganda auszuweichen. Das wird eine weite Reise, über 2000 Kilometer, die unsere Wagenkolonne zurücklegen muß. Erst am Ufer des Lake Edward, wo gutes Wetter sein wird, können wir mit den Aufnahmen beginnen.»
Es schien, als gäbe es noch einmal eine Rettung. Die Risiken waren aber immer noch unübersehbar, da wir die Ankunft unseres Schiffes in Mombasa abwarten mußten. Allerdings konnten wir diese Zeit gut nutzen. Unsere schwarzen Darsteller mußten eingekleidet werden, eine Arbeit, die Helge mit großem Geschick erledigte, während Six sein Boot fertigbaute und alle notwendigen Requisiten besorgte. Auch mußte den Schwarzen das Rudern beigebracht werden, eine schwierige Aufgabe, denn das Wasser fürchteten sie mehr als alles andere. Keiner konnte schwimmen. Ich mußte mit in das Boot steigen, um ihnen etwas von
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