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Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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sprechen konnte, bereits als kleines Familienoberhaupt: Er sollte der Beschützer von Titite und seiner ‹petite maman› sein. Er nahm seine Rolle ernst; Schwester und Mutter blickten zu ihm auf. Aber nach fünf Jahren der Witwenschaft ging Tante Germaine eine zweite Heirat mit einem Beamten ein, der seinen Wohnsitz in Châteauvillain hatte; sie ließ sich selber ganz dort nieder und gebar einen Sohn. Zunächst behielt sie die älteren Kinder noch bei sich. Dann aber wurde Titite im Interesse ihrer Schulausbildung Halbpensionärin im Cours Valton, Jacques im Collège Stanislas; unter der Obhut der alten Elise hausten sie in der Wohnung am Boulevard Montparnasse. Wie wurde Jacques mit dieser Enterbung fertig? Wenige Kinder haben sich wohl derart gezwungen gesehen, ihre Gefühle zu verbergen, wie dieser entthronte, exilierte, im Stich gelassene ‹junge Herr›. Nach außen hin trug er lächelnd die gleichen Gefühle wie für Mutter und Schwester auch für seinen Stiefvater und den kleinen Halbbruder zur Schau; das Schicksal sollte – sehr viel später – erweisen, dass einzig seine Zuneigung für Titite aufrichtig war; zweifellos gestand er sich selbst seine Unmutregungen nicht ein; aber es war kein Zufall, wenn er die Großmutter Flandin barsch anfuhr und immer seiner Familie von Mutterseite her eine Nichtachtung zeigte, die an Feindseligkeit grenzte. Auf einer Hausfassade im Lichte schöner vielfarbig schimmernder Kirchenfenster erstrahlend, hatte der Name Laiguillon in seinen Augen den Glanz eines Wappenschildes; doch wenn er ihn ostentativ betonte, so rächte er sich an seiner Mutter, indem er sich ausschließlich zu der Familie seines Vaters bekannte.
    Es war ihm nicht gelungen, im Elternhaus den Frühverstorbenen zu ersetzen; dafür nahm er umso energischer die Nachfolge im Geschäft für sich in Anspruch: Im Alter von acht Jahren, als er noch voller Verachtung die provisorische Vormundschaft seines Onkels über sich ergehen ließ, warf er sich bereits zum alleinigen Chef der Firma Laiguillon auf. Dadurch erklärt sich, dass er, so jung noch, sich seiner Bedeutung bewusst war. Niemand kann ermessen, wie viel innere Not, wie viel Eifersucht, Groll und Grauen er vielleicht durch die einsamen Speicherräume geschleppt hat, in denen der Staub der Vergangenheit ihm seine Zukunft kündete. Sicher verbarg sich hinter seinem bestimmten Auftreten, seinem Aplomb, seiner Großsprecherei eine große innere Ratlosigkeit.
    Ein Kind ist ein Aufrührer von Natur. Er nun verlangte von sich, bereits vernünftig zu sein wie ein Mann. Er brauchte nicht erst die Freiheit zu erobern, er musste sie sich nur wahren; er selbst legte sich die Normen und Verbote auf, die sonst sein Vater ihm zudiktiert haben würde. Überströmend, ungezwungen bis zur Ungezogenheit, äußerte er manchmal im Collège Stanislas höchst unbefangen seine Kritik. Lachend zeigte er mir in seinem Zensurenheft eine Eintragung, die besagte, er habe im Unterricht verschiedentlich ‹missbilligend gepfiffen›. Er spielte nicht den Musterknaben, sondern glich eher einem Erwachsenen, dem seine Reife erlaubte, eine Zucht zu durchbrechen, die ihm allzu kindisch schien. Als er zu Hause mit zwölf Jahren eine Scharade improvisierte, setzte er seine Zuhörerschaft dadurch in Erstaunen, dass er darin zur Vernunftehe riet; er spielte einen jungen Mann, der sich weigert, ein armes Mädchen zu ehelichen. «Wenn ich einen Hausstand gründe», erklärte er, «so will ich auch meinen Kindern behaglichen Wohlstand sichern.» Als junger Mann stellte er nie die bestehende Ordnung in Frage. Wie hätte er sich gegen das Phantom erheben sollen, das ihn allein aus dem Nichts hinaushob? Als guter Sohn und aufmerksamer Bruder blieb er der Linie treu, die ihm von jenseits des Grabes her vorgezeichnet wurde. Er bekundete große Achtung vor den bürgerlichen Institutionen. Eines Tages, als er von Garric sprach, machte er die Bemerkung: «Er ist sehr ordentlich: Aber er sollte verheiratet sein und einen Beruf ausüben.» – «Weshalb?» – «Ein Mann muss einen Beruf haben.» Er ließ sich seine künftigen Funktionen sehr ernsthaft angelegen sein. Er hörte Vorlesungen über Kunstgewerbe und Jura und machte sich in den muffigen Büros im Erdgeschoss des Hauses mit dem Betrieb vertraut. Geschäft und Jura langweilten ihn; hingegen zeichnete er gern; er erlernte die Kunst des Holzschnitts und interessierte sich lebhaft für Malerei. Nur kam für ihn gar nicht in Frage, sich ihr etwa

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