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Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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zu widmen; sein Onkel, der von Kunst nichts verstand, führte das Geschäft sehr gut; Jacques’ Aufgaben würden sich kaum wesentlich von denjenigen irgendeines kleinen Geschäftsmannes unterscheiden. Er tröstete sich darüber hinweg, indem er die kühnen Zukunftspläne seines Vaters und Großvaters wieder aufgriff: Er nahm sich sehr viel vor; er für seine Person würde sich nicht mehr mit einer bescheidenen Kundschaft von Landpfarrern begnügen; die Laiguillonfenster sollten durch ihre künstlerischen Qualitäten die Welt in Erstaunen setzen und die Fabrik ein schwungvolles Unternehmen werden. Seine Mutter, meine Eltern beunruhigten sich nicht wenig: «Er sollte lieber die Führung der Geschäfte seinem Onkel überlassen», sagte mein Vater. «Er wird die Firma ruinieren.» Tatsächlich lag in seinem Eifer etwas Bedenkliches; der Ernst seiner achtzehn Jahre glich allzu sehr dem seiner Kinderzeit, um nicht ebenfalls etwas gespielt zu scheinen. Er übertrieb den Konformismus, als habe er nicht schon von Geburt an der Kaste zugehört, die er als Rahmen beanspruchte. Das kam daher, dass er tatsächlich kein Glück damit gehabt hatte, seinen Vater wirksam zu ersetzen: Er hörte nur seine eigene Stimme, dieser aber fehlte es an Autorität. Er vermied es umso sorgfältiger, die Weisheit, die er sich anmaßte, je in Frage zu stellen, als er sich niemals wirklich mit ihr eins gefühlt hatte. Niemals war er ganz der, den er so geräuschvoll darzustellen bemüht war: der junge Laiguillon.
    Ich bemerkte diesen Riss und schloss daraus, dass Jacques sich die einzige Haltung zu eigen machte, die mir wertvoll schien: unter Qualen zu
suchen
. Sein Ungestüm überzeugte mich nicht von seinem Ehrgeiz noch seine maßvolle Stimme von seiner Resignation. Weit davon entfernt, seinen Platz unter den gesetzten Leuten einnehmen zu wollen, ging er sogar so weit, sich auch die Bequemlichkeit bloßer Auflehnung zu versagen. Seine blasierte Miene, sein unsicher schweifender Blick, die Bücher, die er mir lieh, seine versteckten Bemerkungen, das alles bot mir die Gewähr, dass er einem ungewissen Jenseits zugewandt lebte. Er liebte den
Grand Meaulnes
, er hatte auch mich ihn lieben gelehrt: Für mich waren beide identisch. Ich sah eine besonders raffinierte Spielart der Unruhe in Jacques.
    Oft nahm ich am Boulevard Montparnasse an Familienessen teil. Ich verabscheute diese Abende nicht. Entgegen meiner sonstigen Umgebung waren Tante Germaine und Titite nicht der Meinung, dass ich mich in ein Monstrum verwandelt hätte; bei ihnen, in der großen, halb hellen, halb dunklen Wohnung, die mir seit meiner Kindheit vertraut war, knüpften sich die Fäden meines Lebens wieder an: Ich fühlte mich nicht länger gezeichnet oder im Exil. Mit Jacques führte ich kurze Privatgespräche, in denen unsere Gleichgesinntheit sich bestätigte. Meine Eltern hatten nicht einmal etwas dagegen. Jacques gegenüber waren ihre Gefühle geteilt: Sie waren ihm böse, weil er kaum noch je zu ihnen kam und weil er sich mehr mit mir als mit ihnen beschäftigte: Auch ihn beschuldigten sie der Undankbarkeit. Indessen befand sich Jacques in gesicherter, angenehmer Position: Welch Glücksfall wäre es für ein vermögensloses Mädchen wie mich, wenn er mich heiratete! Jedes Mal, wenn meine Mutter seinen Namen aussprach, setzte sie ein betont diskretes Lächeln auf; ich war wütend, dass man ein bürgerliches Unternehmen aus einem Einverständnis machen wollte, das sich gerade auf gemeinsame Ablehnung bürgerlicher Sehweisen gründete; nichtsdestoweniger fand ich sehr bequem, dass unsere Freundschaft genehmigt war und ich die Erlaubnis erhielt, Jacques allein zu sehen.
    Im Allgemeinen schellte ich gegen Ende des Nachmittags unten am Haus; ich ging in die Wohnung hinauf, wo Jacques mich mit einem gewinnenden Lächeln empfing. «Ich störe doch nicht?» – «Du störst mich nie.» – «Wie geht es dir?» – «Immer gut, wenn ich dich sehe.» Seine Freundlichkeit war herzerwärmend für mich. Er führte mich in die lange mittelalterliche Galerie, in der er seinen Arbeitstisch aufgestellt hatte; es war dort niemals sehr hell: Ein Buntglasfenster filtrierte das Licht; ich liebte dieses Halbdunkel, die Truhen und sonstigen Behältnisse aus massivem Holz. Auf einem mit karmesinrotem Samt bezogenen Sofa nahm ich Platz; er selbst ging mit einer Zigarette in der Hand und, während er seine Gedanken in den Rauchwölkchen zu fixieren versuchte, leicht augenzwinkernd auf und ab. Ich

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