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Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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Zuneigung gezeigt wie in den nun folgenden Tagen. «Ich habe Sie wirklich schrecklich gern, Biber», sagte er zu mir. Als ich mit Sartre bei Nizans zu Abend essen sollte und er selbst nicht frei war, beschwor er mich mit zärtlicher Autorität: «Sie werden doch auch heute Abend an mich denken?» Ich reagierte auf die geringsten Modulationen seines Tonfalls, sogar auf ein Brauenrunzeln. Eines Nachmittags, als ich mit ihm in der Eingangshalle der Bibliothèque Nationale plauderte, sprach Pradelle uns an; ich begrüßte ihn wohlgelaunt. Herbaud verabschiedete sich wütend und ließ mich stehen. Während des ganzen verbleibenden Tages verzehrte ich mich in Verdruss. Am Abend traf ich ihn wieder, er war sehr zufrieden mit seinem Erfolg. «Armer Biber! Bin ich sehr schlimm gewesen?», sagte er heiter zu mir. Ich führte ihn ins ‹Stryx›, das er «bezaubernd zirkushaft» fand, und erzählte ihm von meinen früheren Streichen. «Sie sind ein Phänomen», gestand er mir lachend zu. Dann sprach er von sich selbst, seiner Kindheit auf dem Lande, seinen Anfängen in Paris, seiner Ehe. Niemals hatten wir uns so intim unterhalten. Aber wir waren im Stillen besorgt, denn am folgenden Tage wurden die Ergebnisse der schriftlichen Prüfung bekannt gegeben. Wenn Herbaud hängengeblieben war, würde er sofort nach Bagnoles-de-l’Orne abreisen. Im nächsten Jahre würde er auf alle Fälle einen Posten in der Provinz oder im Ausland annehmen. Er versprach mir, mich im Laufe des Sommers im Limousin zu besuchen. Dennoch ging etwas zu Ende.
    Am folgenden Morgen begab ich mich klopfenden Herzens zur Sorbonne; an der Tür traf ich Sartre: Ich war zur weiteren Prüfung zugelassen, ebenso Nizan und er. Herbaud hatte versagt. Er verließ noch am gleichen Abend Paris, ohne dass ich ihn wiedergesehen hatte. ‹Sag dem Biber, ich wünsche ihm viel Glück›, schrieb er an Sartre in dem Rohrpostbrief, in dem er seine Abreise ankündigte. Eine Woche darauf erschien er noch einmal, doch nur für einen Tag. Er führte mich ins ‹Balzar›. «Was trinken Sie?», fragte er; dann setzte er hinzu: «Zu meiner Zeit war es Limonade.» – «Es ist noch immer Ihre Zeit», antwortete ich. Er lächelte. «Das wollte ich nur hören.» Aber wir beide wussten, dass ich gelogen hatte.
     
    «Von jetzt an werde ich mich um Sie kümmern», erklärte mir Sartre, nachdem er mir meinen Erfolg verkündet hatte. Er hatte viel Sinn für Freundschaften mit Frauen. Als ich ihn in der Sorbonne zum ersten Mal sah, hatte er einen Hut auf und plauderte angeregt mit einer langen Latte von Lehramtsbeflissener, die ich sehr hässlich fand; sie hatte es bald fertiggebracht, sein Missfallen zu erregen; darauf hatte er sich mit einer anderen, hübscheren angefreundet, aber es war auch mit ihr sehr rasch wieder auseinandergegangen, weil sie ihm Ungelegenheiten bereitete. Als Herbaud ihm von mir erzählt hatte, wollte er auf der Stelle meine Bekanntschaft machen, und jetzt war er sehr zufrieden, dass er mich mit Beschlag belegen konnte; mir selbst aber kam es nun so vor, als sei jede Stunde, die ich nicht mit ihm verbrachte, verlorene Zeit. Während der vierzehn Tage, die von den mündlichen Prüfungen für den ‹Concours› eingenommen wurden, verließen wir einander nur gerade, um zu schlafen. Wir gingen in die Sorbonne, um unsere Prüfungen abzulegen und denen unserer Studienkameraden beizuwohnen. Wir gingen mit dem Ehepaar Nizan aus. Im ‹Balzar› tranken wir hier und da etwas mit Aron, der seine Militärzeit im Wetterdienst absolvierte, und mit Politzer, der jetzt eingeschriebenes Mitglied der Kommunistischen Partei war. Am häufigsten aber gingen wir beide allein spazieren. An den Seinequais kaufte Sartre mir Pardaillan- und Fantomashefte, die er der Korrespondenz zwischen Rivière und Alain-Fournier bei weitem vorzog; am Abend ging er mit mir in Cowboyfilme, für die ich mich als Neuling begeisterte, denn bislang war ich besonders mit dem abstrakten und dem Kunstfilm vertraut. Vor Cafés sitzend oder beim Cocktail im ‹Falstaff› unterhielten wir uns viele Stunden hindurch.
    «Er hört nie auf zu denken», hatte Herbaud zu mir gesagt. Das bedeutete aber nicht etwa, dass er nun bei jeder Gelegenheit Formeln und Theorien von sich gab: Er hatte einen Horror vor jeder Schulmeisterei. Doch sein Geist war immer wach. Er kannte keine Erschlaffung, Schläfrigkeit, Gedankenflucht, Abschweifung, Ermattung, aber auch keine Vorsicht und keinen Respekt. Er interessierte sich für

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