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Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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herrschende Säuglingsgeruch schlugen mich in die Flucht. Doch hielt ich mich gern in der Obstkammer auf, wo Äpfel und Birnen auf einer Lehmschicht reiften, sowie in den Kellern zwischen Fässern, Flaschen, Schinken, Würsten, Zwiebelkränzen und getrockneten Pilzen. In diesen unteren Räumen konzentrierte sich aller Luxus von La Grillère. Der Park war ebenso überaltert wie das Innere des Hauses: Es gab dort keine Blumenrabatten, keinen Gartenstuhl, kein Eckchen, das einen durch Behaglichkeit oder Freundlichkeit einlud, sich darin aufzuhalten. Gegenüber der großen Freitreppe lag ein Fischteich, in dem mit kräftigen Bleuelschlägen oft Mägde die Wäsche wuschen; eine Rasenfläche senkte sich fast steil bis zu einem Gebäude herab, das älter war als das Schloss; dieses ‹untere Haus› war mit Pferdegeschirren und Spinngeweben angefüllt. Drei oder vier Pferde wieherten in den benachbarten Ställen.
    Mein Onkel, meine Tante, mein Vater und meine Cousine führten ein Dasein, das diesem Rahmen angepasst war. Von sechs Uhr morgens an inspizierte Tante Hélène ihre Schränke. Da sie viele Dienstboten zu ihrer Verfügung hatte, besorgte sie ihren Haushalt nicht selbst, sie kochte selten, nähte oder las nie, beklagte sich aber gleichwohl, sie habe niemals eine Minute für sich; unaufhörlich durchstöberte sie das ganze Haus vom Keller bis zum Speicher. Mein Onkel kam gegen neun Uhr herunter; er putzte seine Ledergamaschen in der Sattlerei und ging fort, um sein Pferd zu zäumen. Madeleine sorgte für ihre Tiere. Robert schlief. Es wurde spät zu Mittag gegessen. Bevor man sich zu Tisch setzte, machte ‹Tonton› Maurice mit größter Sorgfalt den Salat an, den er mit zwei Holzstäbchen mischte. Zu Anfang der Mahlzeit wurde mit Eifer über die Qualität der Cantaloupemelonen diskutiert; gegen ihr Ende fand eine vergleichende Betrachtung des Wohlgeschmacks der verschiedenen Birnensorten statt. Zwischendurch wurde viel gegessen und nur wenig gesprochen. Meine Tante kehrte darauf zu ihren Wandschränken, mein Onkel reitgertenschwingend in seinen Pferdestall zurück. Madeleine ging mit Poupette und mir zum Krocketspielen. Robert tat gemeinhin nichts; manchmal entschloss er sich zum Forellenfischen; im September ging er zuweilen auf die Jagd. Alte, zu herabgesetzten Bezügen eingestellte Lehrer hatten versucht, ihm die Grundbegriffe der Rechenkunst und Orthographie beizubringen. Dann hatte eine ältliche, unverheiratete Person mit gelblicher Haut sich der weniger widerstrebenden Madeleine angenommen, die als Einzige der Familie las. Sie stopfte sich mit Romanen voll und träumte davon, einmal sehr schön zu sein und sehr geliebt zu werden. Am Abend versammelte alles sich im Billardzimmer; Papa verlangte Licht. Meine Tante protestierte: «Es ist doch noch so hell!» Schließlich bequemte sie sich dazu, eine Petroleumlampe auf den Tisch zu stellen. Nach dem Abendessen hörte man sie durch die dunklen Korridore trotten. Unbeweglich in ihren Lehnstühlen sitzend, erwarteten mit starrem Blick Robert und mein Onkel die Stunde des Schlafengehens. Ausnahmsweise kam es vor, dass einer von ihnen ein paar Minuten lang im
Chasseur français
blätterte. Am folgenden Tage begann der gleiche Ablauf von neuem, nur sonntags fuhr man, nachdem alle Türen verbarrikadiert worden waren, im Gig davon, um in Saint-Germain-les-Belles dem Hochamt beizuwohnen. Niemals empfing meine Tante Besuch, und niemals machte sie einen.
    Ich selbst fand mich sehr gut mit diesem Lebenszuschnitt ab. Den größten Teil meiner Tage verbrachte ich auf dem Krocketplatz mit meiner Schwester und meiner Cousine, oder aber ich las. Manchmal begaben wir uns alle drei zum Pilzesuchen in die Kastanienwälder. Wir ließen die faden Wiesenchampignons, die Birkenpilze, den Ziegenbart, die Pfifferlinge stehen; wir hüteten uns, den Satanspilz mit seinem roten Fuß oder den Gallenpilz mitzunehmen, den wir an seiner trüberen Färbung und der Härte seiner Linien erkannten. Wir verachteten die alten Steinpilze, deren Fleisch schon weich zu werden begann und schließlich wie grünlicher Schaum aussah. Wir sammelten nur junge Steinpilze mit schön geformtem Stiel und einem Hut aus bräunlichem oder rotbraunem Samt. Wenn wir durch das Moos schritten und die Farnkräuter auf die Seite schoben, zertraten wir die Eierboviste, die beim Platzen schmutzigen Sporenstaub aus sich entließen. Manchmal gingen wir mit Robert Krebse fangen oder aber wühlten, um Madeleine Futter für ihre

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