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Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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Pfauen zu verschaffen, Ameisenhaufen auf und brachten auf einem Karren Wagenladungen von weißlichen Eiern mit.
    Der ‹große Break› verließ nur selten die Remise. Wenn wir nach Meyrignac wollten, fuhren wir eine Stunde lang mit einem Zug, der alle zehn Minuten hielt; dann wurden die Koffer auf einen Eselwagen geladen, wir selbst aber gingen zu Fuß durchs Feld bis zum Herrenhaus; ich konnte mir keinen Ort auf Erden denken, an dem es sich angenehmer leben ließ. In gewisser Weise war unser Tageslauf dort sogar dürftiger. Wir selbst, Poupette und ich, besaßen weder ein Krocket- noch sonst ein Spiel, mit dem man sich im Freien beschäftigen konnte; meine Mutter war dagegen gewesen, dass mein Vater uns Fahrräder kaufte; wir konnten nicht schwimmen, und im Übrigen floss die Vézère auch nicht sehr nahe am Gut vorbei. Wenn man zufällig auf der Allee ein Automobil anrollen hörte, verließen Mama und Tante Marguerite fluchtartig den Park, um Toilette zu machen; unter den Besuchern waren niemals Kinder. Aber ich brauchte hier auch gar keine Zerstreuungen. Lektüre, Spaziergänge, die Spiele, die ich mit meiner Schwester erfand, genügten mir vollauf.
    Die erste meiner Freuden war am frühen Morgen schon das Erwachen der Wiesen; mit einem Buch in der Hand verließ ich das schlafende Haus und öffnete das Tor; es war unmöglich, mich in das Gras zu setzen, das von einem weißen Reif überzogen war; ich ging durch die Allee, vorbei an einer mit ausgewählten Bäumen bepflanzten Wiese, die mein Großvater als den ‹Landschaftspark› bezeichnete; ich las beim langsamen Schreiten und fühlte, wie auf meiner Haut die kühle Luft sich erwärmte; der leichte Dunst, der die Erde verschleierte, löste sich allmählich auf: Blutbuchen, Blautannen, Silberpappeln standen dann in so frischem Glanze da wie am ersten Morgen im Paradies: Ich aber war ganz allein, um die Schönheit der Welt und die Glorie Gottes zu tragen, wobei mein Magen bereits ein klein wenig von Schokolade und von Röstbrot zu träumen begann. Wenn die Bienen summten, wenn die grünen Fensterläden sich im durchsonnten Duft der Glyzinien öffneten, teilte ich bereits mit diesem neuen Tag, der für die anderen kaum angefangen hatte, eine lange, geheime Vergangenheit. Nach der lebhaften Begrüßung der Familienmitglieder untereinander und dem ersten Frühstück setzte ich mich unter die Catalpa an einen Eisentisch, an dem ich meine ‹Ferienarbeiten› machte; ich liebte diesen Augenblick, in dem ich, scheinbar mit leichten Aufgaben beschäftigt, mich den Stimmen des Sommers überließ: dem Brummen der Wespen, dem Schrei der Perlhühner, dem angstvollen Ruf der Pfauen und dem Rauschen der Bäume; der Duft des Phloxes vermischte sich mit den Karamell- und Schokoladegerüchen, die aus der Küche in Schwaden zu mir drangen; auf meinem Heft tanzten Sonnenkringel. Jedes Ding und auch ich selbst war hier und für immer an seinem rechten Platz.
    Großvater kam mit frisch rasiertem Kinn zwischen den weißen Bartkoteletten gegen Mittag herunter. Bis zum Mittagessen las er das
Écho de Paris
. Er war für kräftige Nahrung: Rebhuhn mit Kraut, Blätterteigpastete mit Hühnerfrikassee, Ente mit Oliven, Hasenrücken, Torten, Pasteten, Mandelbackwerk, ‹Flognarden›, ‹Clafoutis›. Während der Tafeluntersatz mit Musik eine Melodie aus den
Glocken von Corneville
spielte, scherzte er mit Papa; die ganze Mahlzeit über versuchte einer den anderen nicht zu Wort kommen zu lassen; sie lachten, deklamierten und sangen; man schwelgte in Erinnerungen, Anekdoten, Zitaten und allerlei Späßen, die an gemeinsame Familienerinnerungen anknüpften. Darauf ging ich gewöhnlich mit meiner Schwester spazieren; wir zerschunden uns die Beine an Ginstergestrüpp, die Arme an Dorngesträuch, wir erforschten kilometerweise im Umkreis Kastanienwälder, Felder und Heideland. Wir machten große Entdeckungen: Teiche, einen Wasserfall, mitten im Heidekraut graue Granitblöcke, die wir erkletterten, um in der Ferne die blaue Linie der Monédières zu erspähen. Unterwegs naschten wir von den Haselnüssen und Maulbeeren der Hecken, den Baumerdbeeren, den Kornelkirschen oder den herben Früchten des Schlehenstrauchs; wir versuchten die Äpfel von sämtlichen Apfelbäumen, aber wir hüteten uns, an der Wolfsmilch zu lecken und an die schönen mennigroten Ähren zu rühren, die so stolz den geheimnisvollen Namen ‹Salomonssiegel› tragen. Vom Duft des frisch geschnittenen Heues, von dem des

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