Memoiren einer Tochter aus gutem Hause
Kopfkissen und las; sobald ich den Schlüssel im Schloss sich umdrehen hörte, löschte ich das Licht; am Morgen, nachdem ich mein Bett gemacht hatte, schob ich das Buch unter die Matratze und wartete den Augenblick ab, wo ich es wieder an seinen Platz stellen konnte. Es war unmöglich, dass Mama von diesen Manövern ahnen konnte; zuweilen aber schauderte ich bei dem bloßen Gedanken, dass die
Demi-vierges
oder
La Femme et le Pantin
versteckt auf meinem Lager ruhten. Von meinem Standpunkt aus hatte mein Verhalten nichts Tadelnswertes: Ich zerstreute und belehrte mich; insofern meine Eltern mein Bestes wollten, handelte ich ihnen nicht entgegen; da ja meine Lektüre mir nicht schlecht bekam. Wäre jedoch mein Tun offenkundig geworden, wäre es mit einem Schlage verbrecherisch gewesen.
Paradoxerweise stürzte mich gerade eine erlaubte Lektüre in alle Schrecknisse der Schuld. Wir hatten im Unterricht
Silas Marner
gelesen und übersetzt. Bevor wir in die Ferien reisten, kaufte mir meine Mutter auch noch
Adam Bede
. Unter den Pappeln des ‹Landschaftsparks› sitzend, verfolgte ich Tage hindurch geduldig die Entwicklung einer langwierigen, ein klein wenig faden Handlung. Plötzlich entdeckte nach einem Waldspaziergang die – unverheiratete! – Heldin, dass sie schwanger war. Mein Herz begann heftig zu schlagen: Wenn nur Mama dieses Buch nicht las, denn dann würde sie wissen, dass ich ebenfalls ‹wusste›: Diesen Gedanken vermochte ich einfach nicht zu ertragen. Nicht, dass ich einen Tadel fürchtete, ich selber konnte ja nichts dafür. Aber ich hatte panische Furcht vor dem, was in ihrem Kopf vorgehen würde. Vielleicht würde sie sich gezwungen glauben, ein Gespräch mit mir zu führen: Diese Perspektive entsetzte mich, weil ich an dem Stillschweigen, mit dem sie bisher allen Problemen dieser Art begegnet war, ihre Abneigung ermaß, das Thema mir gegenüber freiwillig anzuschneiden. Für mich war das Vorhandensein von ledigen Müttern eine objektive Tatsache, die mich nicht stärker beunruhigte als die Existenz der Antipoden. Aber sobald meine Mutter davon wusste, würde meine Kenntnis sich zu einem Skandal auswachsen, der uns beiden zur Schande gereichen musste.
Trotz meiner Angst kam ich nicht auf die allereinfachste Ausflucht, nämlich so zu tun, als hätte ich mein Buch bei meinen Waldspaziergängen verloren. Irgendeinen Gegenstand verlieren, und wenn es eine Zahnbürste war, entfesselte in unserem Hause solche Zornesstürme, dass mich das Hilfsmittel ebenso schreckte wie das Übel selbst. Wenn ich mir übrigens bedenkenlos einen solchen Gewissensvorbehalt erlaubte, so hätte ich doch nicht die Stirn gehabt, meiner Mutter eine positive Lüge ins Gesicht zu schleudern; mein Erröten, mein Stammeln hätten mich verraten. So nahm ich mich einfach in Acht,
Adam Bede
in ihre Hände fallen zu lassen. Sie kam nicht auf den Gedanken, das Buch zu lesen, und ihre Verwirrung blieb mir erspart.
So hatten sich also die Beziehungen zu meiner Familie weit weniger einfach gestaltet, als sie bisher gewesen waren. Meine Schwester betete mich nicht mehr vorbehaltlos an, mein Vater fand mich hässlich und grollte mir deswegen, meine Mutter misstraute dem nicht klar ersichtlichen Wandel, den sie gleichwohl in mir erriet. Wenn meine Eltern hinter meiner Stirn gelesen hätten, würden sie mich aufs schärfste verurteilt haben; anstatt wie früher schützend auf mir zu ruhen, bedeutete ihr Blick nunmehr eine Gefahr für mich. Sie selbst waren aus ihren Himmelshöhen herabgestiegen; ich bediente mich dieser Tatsache jedoch nicht, um daraufhin ihr Urteil abzulehnen. Im Gegenteil fühlte ich mich nur in doppelter Hinsicht unsicher gemacht; ich selbst bewohnte keine bevorrechtete Stätte mehr, und meine Vollkommenheit hatte Schäden davongetragen; ich war meiner selbst nicht mehr gewiss und überaus verletzbar. Meine Beziehungen zu den anderen mussten unweigerlich dadurch beeinflusst werden.
Zazas Begabung stellte sich immer klarer heraus, sie spielte für ihr Alter recht bemerkenswert Klavier und begann Geige zu lernen. Während meine Handschrift derb kindlich war, wirkte die ihre erstaunlich elegant. Mein Vater schätzte wie ich den Stil ihrer Briefe, die Lebhaftigkeit ihrer Konversation; er machte sich einen Spaß daraus, sie sehr förmlich zu behandeln, und sie gab sich mit Grazie dafür her; das undankbare Alter machte sie nicht hässlich; noch kunstlos gekleidet und frisiert, hatte sie die gewandten Manieren eines jungen
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