Memoria
zu drehen.
Villaverde wusste, wie er darauf zu reagieren hatte. Er ließ schnell die linke Schulter sinken, und sobald er wieder im Gleichgewicht war, trat er mit dem rechten Bein seinem Angreifer die Beine weg. Der Mann ließ ihn mit einer Hand los, umklammerte jedoch mit der anderen noch immer fest seinen Unterarm. Villaverde stürzte sich rittlings auf ihn und zielte eine Reihe Faustschläge in seinen Bauch, während er seine Waffe herumdrehte, um den zweiten Angreifer abzuwehren, der ihn jeden Moment erreichen musste.
Während er die Pistole herumschwang, fühlte er einen scharfen Schmerz im rechten Oberschenkel. Er schaute an sich hinunter, sah eine dünne Metallnadel aus seinem Bein ragen und begriff mit plötzlichem Entsetzen, dass der Mann absichtlich zu Boden gegangen war, um die Nadel einstechen zu können.
Villaverde feuerte mehrere Schüsse auf den zweiten Angreifer, der sich jetzt von der Küche her näherte, aber seine Sicht verschwamm bereits, und seine Muskeln entspannten sich unwillkürlich. Die Schüsse verfehlten ihr Ziel bei weitem.
Er spürte, wie er in Schlaf sank, und kurz bevor er vollends das Bewusstsein verlor, kam ihm der Gedanke, dass er am nächsten Morgen wohl nicht in der Brandung surfen würde.
Kapitel 58
Tess wirkte völlig verstört, als ich ankam. Sie konnte es offenbar nicht erwarten, zur Sache zu kommen, und so führte sie mich schnurstracks in den Garten, ein Stück vom Haus fort. Ich wusste zwar nicht, was ihr so zu schaffen machte, nahm jedoch an, dass es etwas mit unserem Gespräch vom Vorabend zu tun hatte. Demnach versprach es keine besonders angenehme Unterhaltung zu werden.
Doch sie überraschte mich mit etwas anderem. «Ich habe bei dem Psychiater angerufen, Dean. Dean Stephenson.»
Das war nicht das Thema, mit dem ich gerechnet hatte.
Ich fragte: «Der, von dem du denkst, dass Michelle mit Alex bei ihm war?»
«Ja. Du weißt ja, er praktiziert nicht nur als Kinderpsychiater, sondern ist auch Leiter des Fachbereichs in Berkeley. Er leitet dort eine Unterabteilung für Perzeptionsstudien.»
Ich wusste nicht recht, worauf Tess hinauswollte und was daran so dringend sein sollte. Aber offenbar war es wichtig. Ich bemühte mich also, nicht allzu flapsig zu klingen, als ich erwiderte: «Okay.» Allerdings habe ich das Wort wohl etwas länger als nötig gedehnt.
«Sein Schwerpunkt – sein Schwerpunkt in mehr als zwanzig Jahren theoretischer und empirischer Forschung», fuhr sie fort, «ist die Überlebensforschung.»
Sie hielt inne und schaute mich an, als wollte sie sehen, ob ich davon schon einmal gehört hatte. Ich zog fragend die Augenbrauen hoch. «Was ist das?»
«Die Überlebensforschung beschäftigt sich mit der Frage, ob irgendein Teil von uns den Tod unseres physischen Körpers überleben kann.»
Den Tod des physischen Körpers überleben?
Das war mir zu hoch. «Wovon redest du?»
«Leute wie Stephenson wollen erforschen, ob möglicherweise die Seele den körperlichen Tod überdauert, und sie tun das, indem sie sich mit Phänomenen wie Nahtoderfahrungen und außerkörperlichen Erfahrungen beschäftigen, mit Erscheinungen am Sterbebett, Kommunikation mit Verstorbenen … und mit dem, was sie als ‹Transmigration der Seele› bezeichnen. Und eben das ist Stephensons Spezialgebiet. Reinkarnation.»
«Das heißt … Du meinst, der Bursche, zu dem Michelle Alex gebracht hat, ist ein Experte für Reinkarnation?»
«Ja. Und ehe du wieder die Augen verdrehst, versuch, dir eins bewusst zu machen: Wir reden hier von einem hochqualifizierten, hochangesehenen Akademiker, klar? Der Mann ist nicht irgendein turbantragendes Medium auf dem Jahrmarkt. In der wissenschaftlichen Öffentlichkeit auf dem Gebiet der Parapsychologie ist er Legende. Natürlich ist das keine besonders große Öffentlichkeit, die Gründe kannst du dir wohl denken. Es fängt schon mit dem Namen an. Jedenfalls sind seine Referenzen über jeden Zweifel erhaben. Er hat in Harvard promoviert. Er ist anerkannter Psychoanalytiker und hat Dutzende Aufsätze über Psychiatrie in allen möglichen Fachzeitschriften veröffentlicht. Er hat Bücher über Psychiatrie geschrieben, die Pflichtlektüre in Seminaren sind. Er ist Lehrarzt an den angesehensten Kliniken. Der Mann zählt ohne jeden Zweifel zur medizinischen Elite dieses Landes.»
«Und er forscht über Reinkarnation», wiederholte ich, wobei ich mich bemühte, jeglichen zynischen Unterton zu unterdrücken. Dann musste ich mich vergewissern:
Weitere Kostenlose Bücher