Menetekel
sie nach oben sah, schwebte die Erscheinung direkt über ihnen, genau über dem Schiff, ein riesiger Ball aus gleißendem Licht. Gracie duckte sich, während alle nach Luft schnappten und entsetzt zurückwichen. Dalton stürzte sich auf die Hauptkamera, um das aufzunehmen. Gracie stand da, starrte wie gelähmt nach oben, ihre Knie zitterten, und ihre Füße schienen an den hölzernen Decksplanken festgewachsen. Entsetzen und Staunen tobten in ihr, und einen endlosen Moment lang stand jedes einzelne Haar an ihrem Körper zu Berge.
Und dann, ganz plötzlich, verblasste das Zeichen wieder. Es verschwand auf ebenso unerwartete und unerklärliche Weise, wie es gekommen war.
KAPITEL 4
BIR HOOKER, ÄGYPTEN
Yusuf Zakariya zog nachdenklich an seiner
shisha
, als sein Gegner die Hand von dem abgenutzten Backgammonbrett zurückzog. Er nickte müde und griff nach den Würfeln. Nur zwei Sechsen konnten ihn noch retten. Der drahtige alte Taxifahrer setzte wenig Hoffnung in den Wurf. Das Glück war ihm heute Abend nicht gewogen.
Entschlossen schüttelte er die kleinen Elfenbeinwürfel, warf und sah zu, wie sie über das kunstvoll mit Intarsien verzierte Brett rollten. Eine Sechs, eine Eins. Er verzog das Gesicht, sodass die Falten sich noch tiefer in die ledrige alte Haut gruben, und rieb sich den nahezu kahlen Schädel. Was für ein Pech. Zu allem Überfluss brannte seine Kehle. Die Kohlen seiner Wasserpfeife waren ausgekühlt. Er hatte sich so sehr auf das Würfelspiel konzentriert, dass es ihm gar nicht aufgefallen war. Frische, rote Glut würde das wohlschmeckende Aroma von Honig und Minze, das ihm abends einen ruhigen Schlaf bescherte, wieder entfachen, aber heute würde er auf diese Annehmlichkeit wohl verzichten müssen. Es war spät.
Er warf einen Blick auf seine Uhr. Zeit, nach Hause zu fahren. Die einzigen Touristen in dem kleinen Café brachen auch gerade auf; ein Pärchen aus Amerika, den Reiseführern und Zeitungen nach zu urteilen.
Basita
, sagte er sich schulterzuckend. Egal. Es war schließlich nicht aller Tage Abend. So Gott wollte, würde er morgen auf eine frische
shisha
und ein neues Spiel wiederkommen.
Er wollte gerade aufstehen, als sein Blick auf die Fernsehbilder fiel. Das Gerät stand auf einem wackeligen alten Regalbrett über dem Tresen. Um diese Zeit waren die Fernsehgeräte hier am verschlafenen Rand der ägyptischen Wüste unweigerlich auf einen Nachrichtensender gestellt, um Stoff für die endlosen Debatten und Klagen über den bejammernswerten Zustand der arabischen Welt zu liefern. Mahmud, der geschäftstüchtige Besitzer des Cafés, hatte eigentlich immer al-Arabiya oder al-Dschasira bevorzugt, sich aber irgendwann, um einen weltoffeneren Eindruck auf die Touristen zu machen, eine Satellitenschüssel und einen geknackten Decoder zugelegt. Seitdem war das Gerät permanent auf einen amerikanischen Nachrichtensender eingestellt. Mahmud fand, dass die ausländische Dauerberieselung seinem Café mehr Klasse verlieh. Yusuf hingegen interessierte sich im Gegensatz zu vielen seiner Landsleute kaum für die nicht enden wollende Berichterstattung über die laufenden Präsidentschaftswahlen in Amerika. Es war ihm egal, welchen Einfluss das alles hierzulande haben könnte, da waren ihm die hübschen Hollywoodstars und spärlich bekleideten Models schon weitaus lieber, auch wenn er das nicht zugegeben hätte.
Jetzt aber wurde seine Aufmerksamkeit von etwas völlig anderem gefesselt. Auf dem Monitor war eine Frau in dicker Winterkleidung zu sehen, die anscheinend aus einer Polarregion berichtete. Im Hintergrund schimmerte etwas am Himmel. Bizarr und fremdartig schwebte es über einer zerberstenden Klippe aus Eis. Seine Umrisse waren klar zu erkennen. Ganz offensichtlich ein Symbol. Ein Zeichen.
Auch die anderen bemerkten die ungewöhnlichen Bilder und traten an den Tresen, forderten Mahmud auf, den Ton lauter zu stellen. Die Szene in den Nachrichten hatte etwas Unwirkliches, aber das war es nicht, was Yusuf so aufwühlte. Was ihn so beunruhigte, war, dass er das Zeichen kannte.
Fassungslos starrte er auf den Bildschirm, das Gesicht in tiefen Falten.
Das kann doch nicht sein.
Er trat noch näher heran, sah es sich genau an. Ihm blieb der Mund offen stehen, über seine Haut liefen kalte Schauder. Die Kameraeinstellung wechselte, diesmal nahm das leuchtende Symbol den gesamten Bildschirm ein.
Es war ein und dasselbe Zeichen.
Gar kein Zweifel.
Unbewusst führte er die Hand zur Stirn und bekreuzigte
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