Menetekel

Abflussgraben jäh zum Stehen kam.
    An der Kreuzung bremste Matt kurz ab, damit Jabba einsteigen konnte, dann fuhr er weiter. Seine Neuronen summten vor Energie. Er hatte Rydell, was gut war, und niemand hatte ihn erschossen, was noch viel besser war.

KAPITEL 57
    WASHINGTON, D.   C.
    Ein Jammer, dachte Keenan Drucker.
    Er konnte Rydell gut leiden. Der Mann war in jeder Hinsicht ein Gewinn. Ohne ihn wäre das alles nie möglich gewesen. Mit dem Begriff «Visionär» wurde viel Schindluder getrieben, aber in Rydells Fall war er berechtigt.
    Drucker dachte daran zurück, wie alles angefangen hatte.
    Davos, Schweiz.
    Das Zweihunderttausend-Dollar-pro-Tisch-Dinner mit Smokingpflicht. Die Scheiben vom Angusrind an Roséchampagnergelee. Noch eine Versammlung der Reichen und Berühmten, der mächtigen Elite, die danach strebte, die großen Probleme der Welt zu lösen. Unsichere Egoisten und wohlmeinende Menschenfreunde, die nicht nur ihr schlechtes Gewissen erleichtern wollten, indem sie ein bisschen Geld hinüberschoben, um ein-, zweitausend ärmeren Seelen zu helfen, sondern die hofften, Veränderungen auf den Weg zu bringen, die Millionen das Leben retten konnten.
    Rydell und Drucker hatten bis spät in die Nacht zusammengesessenund waren den wachsenden Berg an Daten über die globale Erwärmung durchgegangen. Vierzehntausend neue Autos am Tag auf Chinas Straßen. Die boomende Industrie in China und Indien schloss wöchentlich neue Kohlekraftwerke ans Netz. Die Industrieländer verbrauchten mehr billigen Kohlestrom als je zuvor. Zu Hause verabschiedete der Kongress eine Steuererleichterung für die Öl- und Gasindustrie nach der anderen. Die Kampagnen der Energiekonzerne halfen den Menschen, das Problem weiterhin zu ignorieren und schwerwiegenden Entscheidungen auszuweichen. Jede neue Studie bestätigte, dass die Probleme noch weit schlimmer waren als gedacht.
    Sie beide waren sich einig gewesen: Der Planet raste auf einen Punkt zu, ab dem keine Umkehr möglich war. Die Menschheit stand vor einer entscheidenden Weichenstellung für die weitere Existenz auf diesem Planeten, und sie ignorierte es.
    Die Frage war, wie sich daran etwas ändern ließ.
    Die ganze Zeit über war Drucker das Gefühl nicht losgeworden, dass Rydell ihn aushorchte, ihn auf die Probe stellte. Dass er sehen wollte, wie weit er gehen würde.
    Drucker lächelte in sich hinein, als er daran dachte, wie Rydell schließlich die Katze aus dem Sack gelassen hatte.
    Drucker hatte auf die erlesene Gesellschaft ringsum gezeigt und gesagt: «Das alles hier wird nicht viel ändern. Regierungen, die Industrie   … niemand will alles über den Haufen werfen. Es geht einzig und allein um Wählerstimmen und Aktienkurse. Um Wachstum. Die Menschen wollen nicht ernsthaft etwas ändern, erst recht nicht, wenn esetwas kostet. Dabei hat sich der Ölpreis in den vergangenen Jahren vervierfacht. Niemanden schert’s. Im Grunde wollen die Leute genau den Unsinn hören, den die Öl-Lobby ihnen ständig eintrichtert – ‹keine Sorge, alles nur Panikmache›. Wenn wir nichts dafür können, ist es gottgegeben.»
    «Vielleicht sollte ihnen der Himmel mal eine andere Botschaft schicken», hatte Rydell mit einem wissenden – visionären – Funkeln in den Augen erwidert.
    Daraus hatte sich alles Weitere entwickelt.
    Zunächst hatte Rydell den Eindruck gemacht, nur theoretisch daherzureden. Aber aus dem Abstrakten war bald das Mögliche geworden und aus dem Möglichen das Machbare. Und als es so weit war, wurde alles anders.
    Aus Druckers Sicht kam eine ganze Anzahl von Nutzungsmöglichkeiten in Frage. Die Technik, die Rydell und seine Leute entwickelt hatten, konnte gegen alle möglichen Bedrohungen eingesetzt werden, auf vielfältige und spektakuläre Weise. Das Problem war nur, dass Rydell dafür nicht offen war. Für Rydell gab es nur eine einzige Bedrohung für die Menschheit.
    Und genau das sah Drucker anders.
    Es gab etliche andere Bedrohungen, die dringlicher und gefährlicher waren. Bedrohungen, die keinen Aufschub duldeten. Denn Drucker war zwar ein besorgter Weltbürger, vor allem aber war er Patriot.
    Die muslimische Welt wurde dreister und wilder. Sie musste im Zaum gehalten werden. Sie würden sie ganz bestimmt nicht bekehren und die Menschen auch nicht von ihrem Glauben abbringen. Aber es gab dort andere Einsatzmöglichkeitenfür Rydells Technologie. So hatte er mit der Idee gespielt, einen Krieg zwischen Sunniten und Schiiten anzuzetteln. Auch China bot