Menetekel
clever, daran gab es nichts zu deuteln. Ein Meister auf der Kanzel, ein mitreißender Redner, der wusste, wie man sein Publikum verzückte. Es hatte seinen Grund, dass sich jeden Sonntag Tausende von Menschen durch Verkehrsstaus quälten, um seine mitreißenden Predigten zu hören. Warum sich Millionen von Zuschauern seine Fernsehsendungen ansahen. Warum dieser Mann trotz aller Rückständigkeit und Frömmelei – und hirnverbrannter Ansichten wie der, dass die Schwulen die Schuld am elften September trügen – ein Imperium hatte aufbauen können, das inzwischen mehr als fünfzig verschiedene Einrichtungen sowie ein globales Netzwerk von über zehntausend Gemeinden umfasste, dazu eine Schule und eine Universität, dreiundzwanzig Radiosender und ein paar Dutzend Zeitschriften.
«Darauf muss es ja nicht hinauslaufen», sagte Buscema. «Denken Sie lieber daran, dass die sündigen Wünsche den Menschen vom Weg abgebracht haben. Dass ihm der Weg des Heils gezeigt werden muss. Und dass es Ihre Aufgabe ist, ihn bei der Hand zu nehmen und dorthin zu führen.» Buscema sah ihn prüfend an, dann beugte er sich nachdrücklich vor. «Oder habe ich da etwas falsch verstanden? Sie sind doch ein Lebensschützer, oder?» Er ließ die Frage provozierend für einen Augenblick im Raum hängen. Es verblüffte und schmerzte ihn immer wieder, dass die Lebensschützer sich mit Feuereifer für den winzigsten Zellhaufen einsetzten, ganz gleich, auf wie tragische Weise er empfangen worden war oder wie schwer behindert er seinwürde, aber alle anderen Lebewesen oder den gemeinsamen Lebensraum links liegenließen. «Darum geht es doch bei der Rettung des Planeten, oder? Um das Leben?»
Darby, dem das ganz eindeutig gar nicht gefiel, atmete schnaubend aus, legte die Fingerspitzen aneinander und stützte das Kinn auf die Daumen.
«Warum sagen die Idioten in Washington nichts dazu?»
«Das werden sie schon noch.» Er setzte ein wissendes Gesicht auf.
Darby biss an. «Was haben Sie gehört?»
«Dass er echt ist, Nelson. Davon sind sie in Washington überzeugt. Sie wissen nur noch nicht, wie man am besten damit umgeht.»
Darby runzelte so heftig die Stirn, dass das Botox den Kürzeren zog. «Die machen sich genau dieselben Sorgen wie ich.» Er beschrieb eine weite Geste mit den Armen. «Da baut man sich das alles auf, kämpft sich bis ganz nach oben, ein König in seiner Burg … und dann taucht plötzlich jemand auf und will, dass man ihn Massa nennt.»
«Passiert ist passiert, Nelson. Daran lässt sich nichts ändern. Er ist da. Ich will nur vermeiden, dass Sie den Anschluss verlieren, das ist alles.»
«Was, denken Sie, sollte ich tun?»
Buscema dachte einen Moment darüber nach. «Reißen Sie ihn sich unter den Nagel. Solange Sie das noch können.»
«Sie wollen, dass ich ihn anerkenne?»
Buscema nickte. «Andere denken schon darüber nach.»
«Wer?»
Buscema sah ihm einen Moment in die Augen, dann sagte er in vertraulichem Tonfall: «Schaeffer. Scofield. Und noch ein paar andere.» Er wusste, dass die Erwähnung seiner beiden härtesten Konkurrenten auf dem Gebiet der Seelenrettung den Reverend zu einer Reaktion zwingen würde. Einer der beiden hatte sogar die Frechheit besessen, seine Megakirche in derselben Stadt zu errichten.
«Wissen Sie das genau?»
Buscema nickte geheimnisvoll.
Sollte ich wohl,
dachte er.
Ich habe ja gerade erst mit ihnen gesprochen.
«Der Kerl ist ein verdammter Katholik, Roy», grollte Darby. In seinen Augen glomm Panik auf.
«Das spielt keine Rolle. Sie müssen ihn anerkennen, und zwar schnell. So laut, dass es alle hören. Schauen Sie, Sie hinken an dieser Front sowieso schon zurück. Ihre Kollegen, diese Kirchenführer, die vor zwei Jahren die Initiative in Sachen Klimaerwärmung unterstützt haben … die sind längst mit im Rennen.» Buscema bezog sich auf die sechsundachtzig christlichen Führer, die die umstrittene «Evangelikale Klimainitiative» unterzeichnet hatten, wobei sich einige der prominentesten Kirchenführer, darunter der Präsident der National Association of Evangelicals, dagegen sperrten, die Umweltbewegung offiziell zu unterstützen, obwohl sie sie als Privatperson durchaus guthießen. «Das ist Ihre Chance, an ihnen vorbeizuziehen und sich an die Spitze zu setzen.»
Darby machte ein finsteres Gesicht. «Aber was ist mit diesem Zeichen? Was soll es darstellen? Wenn es wenigstensein Kreuz wäre oder sonst einen eindeutigen Bezug zum Christentum hätte … aber
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