Menetekel
sollen.»
«Und das heißt?», fragte Finch.
«Dass er Pater Hieronymus’ Kopf will», antwortete Bruder Amin. «Buchstäblich.»
KAPITEL 45
RIVER OAKS, HOUSTON, TEXAS
«Ich muss schon sagen, das Ganze verwirrt mich zutiefst», grollte der Pfarrer und stellte sein Bourbonglas ab. «Was zum Teufel ist da draußen eigentlich los? So sollte sich das nicht abspielen.»
«Was sollte sich so nicht abspielen?»
«Die Wiederkunft, Roy. Das Ende der Welt. Die Entrückung.»
Sie saßen einander im Wintergarten gegenüber, der die meisten Einfamilienhäuser an Größe übertraf, sich gegen den Rest der wuchtigen Villa des Pfarrers aber wie ein Seitengebäude ausnahm. Obwohl sie sich im Laufe des letzten Jahres unzählige Male getroffen hatten, betrachtete Roy Buscema sein Gegenüber immer noch mit der Faszination eines Anthropologen, der gerade eine neue Spezies entdeckt hat. Der Reverend Nelson Darby war ein beeindruckendes Exemplar. Technisch und von seinen Geschäftspraktiken her auf der Höhe der Zeit, aber unverrückbar mittelalterlich, was die Heilige Schrift betraf. Vornehm und bedächtig und doch zugleich ein knallharter rechter Kulturkriegerund skrupelloser Vertreter der Intoleranz. Bei jeder ihrer Begegnungen war Darby stets ein charmanter, entspannter und verbindlicher Gastgeber gewesen und hatte so gar nichts von dem bombastischen Prediger von Feuer und Schwefel an sich gehabt, in den er sich auf der Bühne verwandelte. Außerdem war er stets makellos gepflegt, ein eleganter Mann, der die erlesensten Dinge des Lebens zu schätzen wusste. Zu Darbys Glück gefiel es Gott – jedenfalls der unfehlbaren Schrift zufolge, die er uns hinterlassen hatte –, dass seine Diener im Wohlstand lebten, und wenn der Pfarrer überhaupt etwas war, dann ein getreuer Diener.
«Vielleicht ist das hier ja gar nicht das Ende der Welt», meinte Buscema.
«Natürlich ist es das nicht», gab ihm der Reverend recht. «Geht ja gar nicht. Jedenfalls noch nicht. Solange keine der Prophezeiungen des Buchs der Bücher eingetroffen ist.» Er beugte sich vor, ein eifriges Glitzern in den Augen, und zerschnitt mit der Handkante mehrmals senkrecht die Luft, wie er es auch auf der Kanzel tat, um seine Worte zu unterstreichen. «Die Bibel lehrt uns, dass der Messias erst
nach
der letzten Schlacht zwischen den Kindern Gottes und dem Heer des Antichrist drüben in Israel wiederkehren wird. Erst wenn das geschehen ist, können wir durch die Entrückung gerettet werden.» Er schüttelte den Kopf. «So wie jetzt gerade läuft das nicht. Verdammt, wir warten doch immer noch darauf, dass die Israelis diese Drecksäcke aus dem Iran rausbomben und damit die ganze Sache lostreten.»
«Gott lässt uns gerade eine Botschaft zukommen, Nelson.Er hat uns ein Zeichen gegeben – zwei Zeichen, über den Polkappen. Und er hat uns einen Boten gesandt.»
Darby machte ein finsteres Gesicht. «Einen Araber. Einen Katholiken noch dazu. Ist das zu fassen.»
«Er ist kein Araber, Nelson. Er ist Spanier.»
Darby fegte seinen Einwand beiseite. «Ändert gar nichts. Damit ist er immer noch ein Katholik.»
«Das spielt keine Rolle. Wie hatten Sie sich den Messias der Wiederkunft denn vorgestellt? Als Protestanten?»
«Keine Ahnung, aber … ausgerechnet ein Katholik?»
«Dieses Detail ist im Moment doch irrelevant. Er ist ein Christ. Und was noch viel wichtiger ist, er ist zufällig einer der heiligsten Männer der Gegenwart. Er hat die letzten Monate in irgendeiner Höhle bei einem Kloster in Ägypten verbracht. Im Heiligen Land. In genau diesem Tal hat Jesus vor den Römern Zuflucht gesucht.»
«Und was haben die Kopten mit alldem zu tun?»
«Das Kloster, in dem Pater Hieronymus sich aufhält, ist koptisch. Aber er selbst ist kein Kopte. Wissen Sie über Kopten Bescheid?»
«Noch nicht. Aber gleich.» Darby lächelte verhalten.
«Die ägyptischen Christen. Bevölkerungsanteil um die zehn Prozent. Sie sind am längsten dort, schon bevor im siebten Jahrhundert die Araber gekommen sind. Vom ersten Tag an ohne Unterbrechung. Die reinsten, ältesten, unverfälschtesten Christen, die man finden kann, Nelson.» Buscema machte eine Pause, um die Worte wirken zu lassen. «Sie wissen doch, wer die koptische Kirche begründet hat?»
«Nein.»
«Markus. Einer der vier Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes. Markus zog also aus, um das Evangelium zu predigen, ungefähr dreißig Jahre nach Christi Tod. Es fiel ihm nicht allzu schwer, die Menschen zu
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