Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)
du nicht.«
Er löste die Hände im Nacken. Beugte sich vor, die Arme auf den Knien abgestützt.
»Das habe ich gehört. Was soll das Gelaber? Glaubst du, ich selbst wüsste nicht, ob ich …?«
»Nein«, widersprach Kristina. »Ich glaube tatsächlich, dass du selbst es nicht weißt.«
»Und wie kannst du das so einfach behaupten? Ehrlich gesagt habe ich eine andere Reaktion erwartet, das muss ich zugeben.«
Plötzlich war der Ton schroff. Sie sah ihm eine Sekunde lang direkt in die Augen, bevor sie antwortete.
»Und welche?«
»Was?«
»Und welche Reaktion hast du erwartet?«
»Ich weiß es nicht. Jedenfalls nicht diese.«
»Ist meine Reaktion so wichtig?«
Er zuckte mit den Schultern und entspannte sich ein wenig. »Ich weiß nicht. Ja … nein, das ist sie natürlich nicht. Ach, Scheiße, jetzt weißt du jedenfalls, dass ich schwul bin.«
Sie schüttelte den Kopf und lächelte ihn an. Rutschte näher zu ihm auf dem Sofa und strich ihm über den Arm.
»Henrik, hör mir mal zu. Ich habe mindestens ein halbes Dutzend Homosexueller in meinem Bekanntenkreis. Ich weiß, dass es verschiedene Arten gibt und dass man es aus den unterschiedlichsten Gründen wird. Aber ich bin mir sehr sicher, dass du nicht in diese Gruppe gehörst. Du hast sicher homoerotische Erfahrungen gemacht, aber das bedeutet nicht automatisch, dass du schwul bist. Ich habe …« Sie hielt einen Moment lang inne, merkte aber dann, dass es keinen Platz gab, um zu zögern. »… ich bin selbst ein paar Mal in meinem Leben mit Frauen zusammen gewesen, es war schön, aber mir war ziemlich schnell klar, dass ich ins andere Lager gehöre.«
» Du bist lesbisch gewesen?«
Seine Verwunderung war hundertprozentig und zeigte sich in großen Augen.
»Ich habe gesagt, ich habe einige Erfahrungen mit lesbischer Liebe gemacht. In gleicher Weise, wie du wahrscheinlich Erfahrungen damit hast, wie es mit einem Mann ist.«
»Verdammte Scheiße«, sagte Henrik und trank einen Schluck Wein. »Das hätte ich nicht gedacht.«
»Hattest du beispielsweise nie ein Mädchen, als du aufs Gymnasium gegangen bist? War da nicht eine Hanna oder so?«
»Ich hatte sogar zwei«, gab Henrik zu. »Aber das hat nie so richtig gefunkt.«
»Hast du mit ihnen geschlafen?«
»Ja. Oder wie immer man es nennen will.«
Er lachte selbstironisch. Aber es klang gleichzeitig gutmütig; sie beugte sich näher zu ihm.
»Und da es mit diesem Typen besser geklappt hat, den du vermutlich in Uppsala kennengelernt hast, ziehst du daraus den Schluss, dass du homosexuell bist?«
»Nun ja, aber …«
»Ziemlich viele sind ein bisschen bi, weißt du. Im Laufe der Zeit entscheidet man sich dann für das eine oder das andere, mehr ist es nicht. Das ist, als suchte man sich einen Beruf aus … oder ein Auto, man braucht tatsächlich nicht gleichzeitig einen Bugatti und einen Rolls Royce.«
»Einen Bugatti und einen Rolls …?«
Wieder lachte er, bremste sich aber schnell; das Traurige überfiel ihn erneut. Er sah sie mit leicht unsicherem Blick aus nächster Nähe an.
»Kristina, ich bin wirklich schwul. Ich bin dir dankbar dafür, dass du versuchst, Balsam auf die Wunde zu legen, aber das ändert nichts an der Ausgangslage.«
Sie hielt seinem Blick stand. Es vergingen fünf Sekunden. Fünf surrende Sekunden; es war merkwürdig, hier zu sitzen und in die blauen Augen des eigenen Neffen auf diese Weise und auf diese viel zu kurze Entfernung zu gucken. Es vergingen weitere Sekunden, der sie umgebende Raum schien auf gewisse Weise sowohl Form als auch Inhalt zu verlieren, langsam wölbte sich eine Glaskuppel, ein Brutkasten, über sie, und plötzlich schienen alle Grundbedingungen aufgehoben zu sein.
Nein, dachte sie, das ist nur ein Versuch, dem Rausch eine Goldkante zu verpassen. Dann sagte sie:
»Leg deine Hand auf meine Brust, Henrik.«
Er zögerte, rührte sich nicht.
»Nun komm, ich habe keinen BH an, das siehst du doch. Bitte.«
Er tat, was sie sagte. Zuerst auf ihre Bluse, dann darunter. Seine Hand war warm und vorsichtig. Ihre Brustwarze wurde augenblicklich steif.
»Was fühlst du?«
Er antwortete nicht. Seine Hand zitterte ein wenig. Vielleicht war sie es auch selbst. Warum soll ich jetzt aufhören?, dachte sie. Warum es bei Halbheiten belassen? Sie drückte die Hand auf seinen Schritt. Hielt sie dort, während sie spürte, wie er wuchs. Was mache ich?, schrie eine Stimme in ihr. Was zum Teufel tue ich hier?
Aber sie ignorierte sie. »Ich habe zwei Brüste«,
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