Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)
diesem Zeitpunkt noch nicht so recht den Ernst der Lage gesehen haben.«
»Warum nicht?«
»Was?«
»Warum haben Sie nicht den Ernst der Lage gesehen? Hatte Ihr Sohn... es war doch Ihr Sohn Walter, der zwischen Montag und Dienstag verschwunden ist, oder?«
»Ja, das war Walter«, warf Rosemarie Hermansson ein.
Gunnar Barbarotti schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln, wandte sich dann wieder ihrem Gatten zu.
»Sie sagen, dass Sie den Ernst der Lage nicht gesehen haben. Bedeutet das, dass Walter einen Grund gehabt haben könnte, sich fernzuhalten … dass Sie vielleicht zu wissen glaubten, wohin er gegangen sein könnte?«
»Absolut nicht«, erklärte Karl-Erik Hermansson entschlossen. »Das Ganze … ja, das erfordert vielleicht eine kleine Erklärung. Mein Sohn … ich meine natürlich, unser Sohn … war in letzter Zeit nicht mehr der Alte.«
Interessante Art, es auszudrücken, dachte Gunnar Barbarotti. Nein, wenn man sich im Fernsehen hinstellt und onaniert, dann ist man vermutlich nicht mehr der Alte. Er registrierte, dass Rosemarie dasaß und ihre rotgrüne Serviette im Schoß zerbröselte, und er ahnte, dass sie kurz vor dem Zusammenbruch stand.
»Ich kenne die Fernsehsendung«, sagte er. »Auch wenn ich sie nicht selbst gesehen habe. Überhaupt sehe ich nur sehr wenig fern. Nun gut, aber Sie stellten also sein Verschwinden in Zusammenhang mit … ja, damit, wie er sich fühlte?«
Karl-Erik Hermansson schien zu zögern. Er warf seiner Ehefrau einen hastigen Blick zu und fummelte wieder an seiner Krawatte herum. Irgend so ein Seidenzeug, wenn Gunnar Barbarotti sich nicht irrte. Thaiseide, wenn er eine qualifizierte Vermutung wagen wollte. Vielleicht hatte er sie ja zu seinem großen Tag bekommen.
»Ich weiß nicht so recht«, sagte Karl-Erik Hermansson schließlich. »Ich habe ja nie so richtig mit ihm reden können. Ich hatte es mir vorgenommen, aber es ist nicht dazu gekommen. Es kommt nicht immer so, wie man es sich denkt …«
Als er das gesagt hatte, sank er ein wenig in sich zusammen. Als hätte er etwas gestanden, das er eigentlich gar nicht hatte gestehen wollen, dachte Barbarotti – und das bot seiner Ehefrau die Gelegenheit, zu Wort zu kommen.
»Walter kam am Montag gegen sieben Uhr«, erklärte sie. »Die anderen auch. Wir haben einen Happen gegessen, nichts Besonderes, einige sind noch aufgeblieben und haben sich unterhalten, nachdem Karl-Erik und ich ins Bett gegangen sind … nein, es war so, wie Karl-Erik gesagt hat, an dem Abend war keine Zeit für Gespräche unter vier Augen.«
»Aber Walter gehörte zu denen, die noch länger aufblieben?«
»Ja. Ich glaube, er und Kristina, unsere Tochter. Sie haben … ja, sie standen sich immer ziemlich nahe. Ebbas und Leifs Söhne waren auch dabei.«
»Und dann ist Walter verschwunden?«
Rosemarie wechselte einen Blick mit ihrem Mann, als wolle sie bestätigt bekommen, dass sie fortfahren durfte. »Ja«, sagte sie und zuckte etwas resigniert mit den Schultern. »Er ist wahrscheinlich rausgegangen, um spazieren zu gehen und eine zu rauchen. Das hat jedenfalls Kristina gesagt …«
»Wie spät war es da?«
»Halb eins ungefähr … vielleicht ein bisschen später.«
»Und wer war zu diesem Zeitpunkt noch auf, als Walter weggegangen ist?«
»Ich glaube, nur Kristina und Henrik. Kristoffer sagt …?«
»Einen Moment. Wer ist Kristoffer?«
»Ebbas und Leifs jüngerer Sohn. Ja, Sie haben natürlich noch die Möglichkeit, alle drei zu sprechen, jetzt, wo …«
»Ich verstehe. Und was sagt Kristoffer also?«
»Er sagt, er sei kurz nach halb eins hochgegangen, um sich schlafen zu legen. Und da waren Walter, Kristina und Henrik noch auf … ja, hier im Wohnzimmer.«
Gunnar Barbarotti nickte und machte sich Notizen.
»Und Kristina?«
»Ihre Familie ist gestern zurück nach Stockholm gefahren.«
»Wann gestern?«
»Frühmorgens.«
»Aber Sie haben Walters Verschwinden auch mit ihr am Dienstag diskutiert?«
»Ja, natürlich. Obwohl, es hat eine Weile gedauert, bis wir gemerkt haben, dass er nicht da war. Es war ja auch gerade der Geburtstag. Es gab einige Gratulanten und so …«
»Wann haben Sie bemerkt, dass er nicht da war? Walter, meine ich.«
Das Ehepaar Hermansson schaute einander an. Karl-Erik runzelte kurz die Stirn.
»So gegen Mittag, nehme ich an …«
»Zuerst haben wir gedacht, er habe am Vormittag einen Spaziergang gemacht«, fügte seine Ehefrau hinzu. »Erst später am Nachmittag habe ich entdeckt, dass er gar nicht in
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