Mensch versteh mich doch
können dessen Reaktion auf unseren Hund nicht vorhersehen und halten aus Unsicherheit die Leine unbewusst strammer und kürzer, damit nichts „passiert“. Sind beide Hunde dann auf gleicher Höhe und der andere scheint freundlich gesinnt, erlauben wir ihnen, sich zu beschnüffeln. Aber auch dabei halten wir die Leine automatisch strammer – man kann ja nie wissen...
Aus Sicht unseres Hundes stellt sich die Situation so dar:
1. Mein Mensch ist nervös und angespannt, der andere Hund könnte eine Bedrohung sein.
2. Meine Bewegung ist eingeschränkt, ich kann nicht so reagieren, wie ich es will.
3. Um den anderen zu begrüßen und zu beschnüffeln, muss ich mich gegen die Leine stemmen.
Was wir bemerken, ist die Unsicherheit unseres Hundes. Instinktiv wollen wir ihn schützen und halten deshalb die Leine noch kürzer. Da sowieso schon Zug auf der Leine war, steht er jetzt fast aufrecht, hat seinen Schwerpunkt weit nach vorn verlagert und ist nicht mehr ausbalanciert – die typische Haltung des angriffsbereiten Hundes, den wir nie haben wollten. Der vom Halsband verursachte Druck sorgt für noch mehr Stress. Unser Hund spürt deutlich, dass er nicht fliehen kann. Als Alternative bleibt ihm nur der „Angriff“, doch wir zerren ihn an der Leine weiter, um schnell wegzukommen.
Vielleicht sind Sie aber auch ganz sicher, dass Sie sich so nicht verhalten. Bei Begegnungen mit anderen Hunden machen Sie gar nichts, lassen den Dingen ihren Lauf – und trotzdem beginnt Ihr Hund zu pöbeln. Warum? Im Grunde genommen ist die Situation ähnlich, nur dass Sie nicht an der Leine ziehen. Ihr Hund ist verunsichert, weil Sie in seinen Augen keine Entscheidung treffen. Sie weichen nicht nach Hundeart in einem großen Bogen aus (siehe dazu auch das → Kapitel „Kommunikation heißt das Zauberwort“), und auch Ihr Hund kann nicht ausweichen, weil die Leine ihn fixiert. Nun kommt der andere Hund zu nahe, und da Sie nichts machen, muss Ihr Hund selbst entscheiden. Er droht und führt vielleicht sogar einen Scheinangriff gegen ihn. Spätestens jetzt geraten auch Sie in Stress und reagieren nun doch. Sie ziehen Ihren Hund zurück und schimpfen laut. Genau dadurch bestätigen Sie ihn aber in seiner Unsicherheit: Entgegenkommende Hunde sind gefährlich und müssen vertrieben werden. Das wird er beim nächsten Spaziergang auch tun, denn in seinen Augen sind Sie zum richtigen Handeln nicht fähig.
Der Hund zieht so stark an der Leine, dass nur noch die Hinterbeine den Boden berühren. (Foto:Tierfotoagentur.de/S. Starick)
Schlimmstenfalls kommt es bei solchen Treffen zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Hunden. Meist gehen die Halter schreiend dazwischen und untersuchen danach ihren Hund gleich hektisch auf mögliche Verletzungen, halten ihn fest und umarmen ihn der nächste Fehler! Durch das für den Hund unverständliche Handeln wird der Situation zu viel Bedeutung beigemessen, was sich auf das zukünftige Sozialverhalten des Hundes auswirkt. Weitere Auseinandersetzungen mit Artgenossen könnten die Folge sein. Den Grundstein dafür hat in diesem Fall der Mensch gelegt.
Bevor Sie mit Ihrem Hund üben, wieder friedlich an anderen Hunden vorbeizugehen, sollten Sie ein bisschen Vorbereitungsarbeit leisten. Lernen Sie Ihren Hund besser kennen. Beobachten Sie ihn genau und finden Sie heraus, ab welcher Entfernung zu einem nahenden Artgenossen er erste Stresssignale zeigt. Überdenken Sie auch noch einmal die Beziehung zu Ihrem Hund. Gibt es wirklich klare Regeln und vertraut Ihr Hund Ihnen voll und ganz? (Lesen Sie hierzu noch einmal das → Kapitel „Ein kleines Wort zu Dominanz, Rudelchef und Rangordnung“.)
Etablieren Sie ein Lobwort, ein Abbruchwort sowie ein Okay-Signal, das Ihrem Hund vermittelt, dass Sie alles im Griff haben.
Trainieren Sie unbedingt Ihr Timing, damit Sie im richtigen Moment reagieren und die Kommandos durchsetzen können. Hierzu eignet sich beispielsweise diese Übung: Ein Helfer lässt einen Tennisball in unregelmäßigen Abständen auf den Boden fallen. Sie versuchen, immer genau in dem Moment in die Hände zu klatschen, wo der Ball den Boden berührt. Das ist gerade durch die unregelmäßigen Zeitabstände nicht einfach, dafür aber umso effektiver.
So gut vorbereitet können Sie nun mit dem eigentlichen Training beginnen.
Tipp
Haben Sie an einem Trainingstag das Gefühl, dass gerade gar nichts mehr funktioniert, sollten Sie überlegen, einige Schritte zurückzugehen. Vielleicht haben
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