Menschen einschätzen und überzeugen
Engel“, führte auf folgende Weise ein Casting für Schauspieler durch: Er mietete eine große, leere Fabrikhalle und setzte sich hinter einen Tisch, der möglichst weit entfernt von der Eingangstür war. Die Schauspieler mussten also eine ziemlich große Entfernung durch einen leeren Raum zurücklegen, um Melville zu erreichen. Noch bevor er mit ihm ein einziges Wort gewechselt hatte, wusste der Regisseur bei jedem Bewerber, ob er die perfekte Besetzung für einen seiner Filme gefunden hatte oder nicht. Unter denjenigen, die den Test glänzend bestanden haben, waren die späteren Weltstars Jean Paul Belmondo und Alain Delon. Was haben die anderen Schauspieler falsch gemacht?
Viele der Bewerber waren von der Größe des Raumes beeindruckt und blieben an der Türschwelle verunsichert stehen. Einige sind entschlossen durch die Tür getreten, doch dann, auf dem halben Weg, verloren sie den Mut und ihre Schritte wurden zögerlich. Andere schlichen sich förmlich an den Wänden entlang, statt den direkten Weg zu wählen. Alle, die den scheinbar einfachen Test nicht bestanden haben, begingen einen unverzeihlichen Fehler: Sie wollten sich unsichtbar machen.
So machen es die Schauspieler
Guten Schauspielern reicht oft nur eine bestimmte Körperhaltung oder eine kleine Geste, um damit eine Figur zu „verkörpern“. Ohne Worte können sie die inneren Motive undGedanken eines Menschen sichtbar machen. Sie wissen ganz genau, welche Wirkung ein gehetzter oder schleppender Gang, ein fiebriger oder prüfender Blick haben. Sie wissen, dass der Körper mehr über eine Figur und die Beziehung zwischen den Figuren erzählt als Worte. Jeder von uns erinnert sich an den watschelnden Gang von Charlie Chaplin, sein mal fröhliches, mal verlegenes Kreisen mit dem Spazierstock, oder an die langsamen, bedrohlichen Gesten von Marlon Brando aus dem „Paten“. Dieses Bewusstsein für die Kraft der Körpersprache ermöglicht einem Schauspieler die Präsenz: Wir nehmen die Figur, die er darstellt, als eine Persönlichkeit wahr – mit ihren Eigenheiten, Stärken, Schwächen, Absichten oder Ängsten.
Gute Bühnendarsteller können durch ihren körperlichen Ausdruck den Raum „erschaffen“, in dem sie sich bewegen: Wir begreifen recht schnell, ob eine Figur auf einer windigen Anhöhe steht oder in einer kleinen Hütte hockt – auch ohne naturalistisches Bühnenbild. Wenn sich ein Schauspieler biegt, als wollte er sich ganz leicht machen, wenn er vorsichtig die Arme zur Seite streckt und achtsam mit gespanntem Blick nach unten über den Boden schreitet, haben wir den Eindruck, er würde über eine zerbrechliche Bodenfläche laufen, einen eingefrorenen See möglicherweise. Flaniert er ruhig und entspannt, mit hinter dem Rücken verschränkten Armen, sieht sich mit glücklicher Miene um und zieht tief durch die Nase Luft ein, entstehen in unserem Kopf sofort Bilder von einem See- oder Waldspaziergang. Das heißt: Durch ihre körperliche Präsenz erschaffen gute Schauspielereine Welt! Sie bestimmen den Raum – und nicht der Raum sie.
So gewinnen Sie Präsenz
Beispiel: Der übermächtige Raum
Herr Neumann hat schon lange auf den bevorstehenden Termin mit einem seiner Kunden, Herrn Ludwig, gewartet. Er betritt das repräsentative Firmengebäude und wird in Herrn Ludwigs großräumiges Büro geführt. Die Räume beeindrucken ihn. Er spürt, wie sein Selbstbewusstsein schwindet, wie sich seine Schultern und sein Nacken verspannen, sich die Hände verkrampfen. Als Herr Ludwig den Raum betritt und ihn begrüßt, bringt er nur noch ein aufgesetztes Lächeln zustande, seine Stimme ist unklar und leise. Eigentlich würde er am liebsten wieder gehen …
Herr Neumann hat sich von den ungewohnten und beeindruckenden räumlichen Verhältnissen einschüchtern lassen. Sein Körper hat darauf quasi mit „sich kleiner machen“ reagiert. Wie gewinnt man in einer solchen Situation seine Präsenz und damit die Souveränität zurück?
Aufrichten und den Raum ausfüllen
Wenn Sie merken, dass Sie überrollt werden, machen Sie es wie die Schauspieler:
Während Sie auf Ihren Termin warten, richten Sie Ihren Oberkörper auf und lockern Sie Nacken und Gesicht.
Stellen Sie sich vor, Sie wären eine Marionette, deren Fäden losgelassen wurden. Atmen Sie tief aus, und entspannen Sie kurz die Muskeln, dann richten Sie sich mitdem Einatmen auf und nehmen Sie die aufrechte und aufgeschlossene Haltung ein, atmen Sie wieder aus.
Sehen Sie sich die Umgebung mit einem
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